Der Greta-Effekt: Warum Unternehmen Mitarbeitern mehr bieten müssen als Homeoffice und Yoga-Kurs, um sie zu Höchstleistungen anzutreiben

p395289 NEUNsight Mai 2019

An den typischen Insignien der Macht hat die Generation Y kein Interesse: Die Millenials sind auf der Suche nach Sinn – und wollen die Welt verändern. Wie Arbeitgeber darauf reagieren sollten.

Eine Geschichte aus dem Arbeitsalltag von Herrn M., aufgezeichnet von Winfried Neun.

Kürzlich las ich beim Sonntagsfrühstück wieder einmal einen Artikel über die Generation Y. Gesprochen wird das wie das englische „Why“, auf Deutsch „Warum“, und das erklärt eigentlich schon ziemlich viel über diese Gruppe der 1980 bis 1995 Geborenen: Sie gelten als besonders skeptisch, sie hinterfragen Vorhandenes und wollen wissen, warum und wofür sie Dinge eigentlich tun. Diese Suche nach dem Sinn unterscheidet sie von all den Generationen vor ihnen, denen es hauptsächlich darum ging, möglichst schnell möglichst viel Geld zu verdienen, mit einem großen Firmenwagen herumzufahren, die Mittagspause beim Stammitaliener zu verbringen und am Wochenende mal eben zum Shoppen nach Palma de Mallorca zu fliegen. Vorrangiges Ziel: viel leisten zur Verwirklichung der eigenen Träume.

Auf viele dieser Privilegien und Insignien der Macht will die Generation Y gerne verzichten – und genau das macht sie für Arbeitgeber zu einer großen Herausforderung: Was ist diesen jungen Menschen wichtig? Mit welchen Versprechungen kann man sie in ein Unternehmen locken? Und wie kann man sie, wenn sie einmal da sind, zu jenen Höchstleistungen antreiben, die es braucht, um eine Firma voranzubringen? Denn oft gewinnt man den Eindruck, die „Generation Greta“ möchte zur Leistung gebeten werden.

Mit diesen Fragen kam vor wenigen Monaten auch Herr M. zu mir. Herr M. ist einer meiner Coaching-Kunden, Chef einer mittelständischen Firma im Bereich Ingenieurwesen. Ich habe ihn gleich ins Herz geschlossen, was vor allem daran liegt, dass er trotz seines fortgeschrittenen Alters ein großes Interesse daran hat, seine Mitarbeiter und deren Wünsche und Bedürfnisse wirklich zu verstehen.

Herr M. hatte es in den vergangenen Jahren geschafft, eine Reihe sehr vielversprechender junger Leute in sein Team zu holen. Alle hatten Top-Referenzen: sehr gute Abschlusszeugnisse, spannende Praktikumserfahrungen, eine große Anzahl an Auslandsaufenthalten und damit einhergehend gute Fremdsprachenkenntnisse.

Ein Gewinn für die Firma – dachte zumindest Herr M.

Doch nach einigen Monaten wurde deutlich, dass diese neuen Mitarbeiter – und zwar durch die Bank weg – nicht die Leistungen brachten, die sich Herr M. von ihnen erhofft hatte. Zwar arbeiteten sie viel, der Großteil von ihnen machte sogar ohne zu murren hin und wieder einige Überstunden, doch herum kam dabei nichts. Bei gemeinsamen Teambesprechungen konnte niemand von ihnen überzeugen. „Das ist Dienst nach Vorschrift“, war Herr M. enttäuscht. Wo war denn da das Neue, das Innovative, auf das er gehofft hatte? Wo war das Feuerwerk an Ideen, das die Firma vorantreiben würde?

Herr M. war umso enttäuschter, da er von der Auswahl seiner Mitarbeiter nach wie vor überzeugt war – er war sicher, dass in ihnen genau das schlummerte, das es brauchte, um sein Unternehmen zum Marktführer in der Branche zu machen.

Doch wie sollte er das aus ihnen heraus kitzeln?

Auf unser Treffen hatte sich Herr M. gut vorbereitet und bereits ein paar erste Vorschläge zur Verbesserung der Situation im Gepäck – und das wortwörtlich, denn er hatte einige Zeitungsartikel über die Generation Y ausgedruckt und mitgebracht.

Unterstrichen hatte er dabei immer wieder einen Begriff: Work-Life-Balance. Die neongrüne Farbe des Stiftes leuchtete mir wie des Rätsels Lösung entgegen.

Und tatsächlich: Lange Zeit galt die „Balance aus Arbeit und Leben“ als das Zauberwort, um die Bedürfnisse der jungen Mitarbeiter zu befriedigen: Sie beinhaltete die Möglichkeit zum Homeoffice,  zum Sabbatical und dazu, das kranke Kind bereits am Mittag von der Kita abzuholen, ohne sich dafür die kommenden Tage rechtfertigen zu müssen. Die Mitarbeiter sollen gerne zur Arbeit kommen – dafür werden Liegelandschaften und Schlafkojen aufgestellt, kommt in der Mittagspause eine Masseurin vorbei, und wird auf dem Firmengelände ein Yoga-Kurs angeboten. Denn: Wer sich wohl fühlt, bringt schließlich die besten Leistungen, oder etwa nicht?

Was ich davon hielte, wollte Herr M. wissen? Meine Antwort war deutlich: Ich nahm den Artikel-Stapel – und versenkte die gesammelten Texte über die Work-Life-Balance in meinem Papierkorb.  Herr M. schnappte nach Luft und ich sagte: „Um seine Mitarbeiter zu Höchstleistungen anzutreiben, reichen Homeoffice, Sabbatical und Yoga-Kurs alleine nicht mehr aus.“

Um meinen Standpunkt zu verdeutlichen, holte ich meinen Laptop, stellte ihn vor Herrn M. und mich auf meinen Schreibtisch, und googelte: Fridays for future. Ich erhielt 1.250.000.000 Ergebnisse in 0,32 Sekunden, darunter jede Menge Bilder der 16-jährigen schwedischen Klima-Aktivistin Greta Thunberg, der Initiatorin der mittlerweile weltweit durchgeführte Klimastreiks, und Fotos vieler weiterer junger Menschen, die Plakate in die Kameras hielten, auf denen Dinge standen wie „Unsere Umwelt ist wichtiger als Geld“.

Besser konnte man es nicht auf den Punkt bringen und besser konnte ich Herrn M. nicht erklären, womit er seine jungen Mitarbeiter für die Firma gewinnen konnte: Während meine Generation, die Baby-Boomer, auf Prestige und Geld setzte und es ihr vor allem um den Erfolg des Einzelnen ging, kämpft diese Generation für das Wohlergehen der Allgemeinheit, indem sie sich beispielsweise für Umweltschutz und Klimafragen einsetzt.

Nur eine Firma, die solche Bedürfnisse ernst nimmt, wird als Arbeitgeber in Zukunft noch eine Chance haben – davon bin ich überzeugt.

Gemeinsam mit Herrn M. entwickelte ich eine Strategie, mit der man den Interessen der jungen Mitarbeiter Tribut zollen und gleichzeitig die Firma voranbringen würde: In einer E-Mail an die gesamte Belegschaft erklärte Herr M. ein paar Tage nach unserem Meeting, dass er zukünftig jedes Jahr eine fünfstellige Summe an ein Klimaschutzprojekt spenden würde, sobald bestimmte Umsatzziele erreicht würden. Sollten die Umsatzziele übertroffen werden, würde sich auch die Spendensumme erhöhen.

Die Rückmeldungen waren durchweg positiv – alle Mitarbeiter nahmen die Idee begeistert an und die Gespräche in der Kaffeeküche drehten sich nun um die Weiterentwicklung der Projekte und nicht wie zuvor um das Essen in der betriebseigenen Kantine. Die kommenden Monate zeigten, dass diese kleine „Bestechung“ tatsächlich funktionierte. Nie zuvor hatten die Mitarbeiter so intensiv gearbeitet. Sie blieben nicht länger als sonst in der Firma und kaum jemand verzichtete auf die Mittagspause, aber sie waren mit ihrem Kopf und ihrem Herzen bei der Sache. Endlich trat das ein, was Herr M. immer gehofft hatte: Neue Ideen sprudelten und bei den Team-Besprechungen überboten sich die Mitarbeiter in kreativen Vorschlägen, wie man neue Kunden an Land ziehen könnte. Ihre Arbeit hatte nun genau das, was sie immer wollten: einen Sinn.

Klingt diese Geschichte für Sie unglaublich oder wie ein Märchen? Ich versichere Ihnen: Sie hat sich genau so zugetragen. Ich haben sie Ihnen erzählt, weil ich Ihren Blick dafür schärfen will, dass es eine für Sie vermeintliche „Kleinigkeit“ sein kann, die die Generation der Millenials motiviert, wirklich etwas und noch viel mehr zu leisten.

Dass es damit nicht getan ist, versteht sich von selbst. Denn unterbezahlt werden möchten die „Millenials“ verständlicherweise trotz aller idealistischen Ziele nicht. Dass die Work-Life-Balance stimmen muss, ist für sie eine selbstverständliche Grundlage der Zusammenarbeit und kein „Goodie“.

Es ist das gewisse „Extra“, das über die Leistungsbereitschaft Ihrer jungen Mitarbeiter und damit über Ihren Erfolg bestimmt. Je nachhaltiger, desto besser.

Autor: Winfried Neun

Bild: Pixabay (CCO)

Im Überblick

Auf viele Privilegien und Insignien der Macht will die Generation Y gerne verzichten – und genau das macht sie für Arbeitgeber zu einer großen Herausforderung: Was ist diesen jungen Menschen wichtig? Mit welchen Versprechungen kann man sie in ein Unternehmen locken? Und wie kann man sie, wenn sie einmal da sind, zu jenen Höchstleistungen antreiben, die es braucht, um eine Firma voranzubringen? Denn oft gewinnt man den Eindruck, die „Generation Greta“ möchte zur Leistung gebeten werden.