Neukundengewinnung: Latente Bedürfnisse entdecken!

p395289 NEUNsight September 2019

Das Traditionsunternehmen den Betrieb einstellen ist eine traurige Entwicklung, vor allem, weil es immer mehr werden. Der einst so hochgelobte deutsche Mittelstand rutscht immer stärker in die Krise. NEUNsight-Tipps zur Krisenvermeidung.

Warum fällt es Unternehmen so schwer neue Kunden zu gewinnen? Im Sommer dieses Jahres erwischte es Loewe – 96 Jahre nach der Firmengründung musste der oberfränkische Fernsehhersteller Insolvenz anmelden; zum zweiten Mal nach einer ersten Pleite im Jahr 2013. 400 Beschäftigte harren nun verzweifelt der Dinge: Wird ein Investor gefunden? Geht die Produktion weiter?

Der einst so hochgelobte deutsche Mittelstand rutscht immer stärker in die Krise. Das Schlimmste daran: Die Probleme sind häufig hausgemacht. Im Falle von Loewe etwa hatte es die Geschäftsführung nicht geschafft, den Verbrauchern zu vermitteln, warum sie für ein Produkt „Made in Germany“ ein Vielfaches mehr bezahlen sollten als für ein Gerät aus Asien.

Erfolg führt zu Trägheit

Ob Loewe seinen Untergang durch eine cleverere Strategie seitens des Managements hätte verhindern können, ist reine Spekulation. Fest steht allerdings, dass Unternehmen aus dem Mittelstand sich schwer damit tun, neue Märkte und Kunden zu gewinnen. Ein Phänomen, das ich in den dreißig Jahren meiner Beratungstätigkeit häufig erlebt habe – und nach wie vor erlebe. Denn der Mittelstand ist behäbig und träge und ruht sich gerne auf alten Erfolgen aus. Dabei vergisst er das offensichtliche: Die Welt dreht sich weiter, notfalls auch ohne sie. Nur weil man 30 Jahre lang zu den besten der Branche gezählt hat, heißt das nicht, dass das auch die nächsten 30 Jahre so sein wird.

Verstehen Sie mich nicht falsch: Das Potenzial des Mittelstandes ist riesig. Nur schaffen es viele Unternehmen nicht dieses auszuschöpfen. Der Grund: Sie wagen es nicht über den Tellerrand zu blicken. Immer wieder werde ich als Coach zu KMUs gerufen und stoße dort auf eine Geschäftsführung, die in ihrem eigenen Saft schmort. Selten dagegen sind Mittelständler, die über ihre eigene Branche – in der sie groß und erfolgreich geworden sind – hinaus schauen, um herauszufinden, in welchen Segmenten der Wirtschaft man ihre Kernkompetenzen noch benötigt.

Strategische Kontur prüfen

Warum? Weil das einer wirklichen Kunst des Wirtschaftens bedarf, weil es heißt etwas loslassen zu müssen, und weil es die Bereitschaft erfordert ein richtiges Risiko einzugehen. Und all das bedeutet Arbeit, schließlich muss die strategische Kontur des Unternehmens überdacht werden. Die bestehenden strategischen Asse (also das Segment, in dem das Unternehmen im Bestandsmarkt viele Kunden hat) müssen erkannt und auf neue Märkte übertragen werden, denn sie sind der Schlüssel zu einer neuen Umsatzpforte.

Dieser Schritt behagt vielen nicht, sie wollen diese Tür nicht öffnen. Sie scheuen die Herausforderung. Sie halten es lieber getreu dem Motto “Schuster bleib bei deinen Leisten“ und bauen auf ihre Bestandskunden – auch wenn das für das Unternehmen nur Stagnation bedeutet. Und so ein Tunnelblick, ich spreche aus Erfahrung, kann für die Firma tödlich sein. Echte Innovation kann so nicht entstehen.

Kraftakt Neukundenakquise

Ja, die Akquise von Neukunden ist ein Kraftakt für die Psyche: Der Neukunde kennt mich nicht. Ich kann nicht mit meinen Routinen und Phrasen punkten, sondern muss sehr kreativ und intuitiv vorgehen. Ich muss spüren, was der Neukunde will, seinen Bedarf erkennen. Und dabei handelt es sich oft um keinen bewussten Bedarf, sondern um einen sogenannten latenten Bedarf – also einen, den der Kunde selbst in dieser Ausprägung noch gar nicht wahrgenommen hat. Ihn zu entdecken und zu erkennen ist eine der schwierigsten Aufgaben im Vertriebsbereich – aber auch einer der erfolgreichsten Wege, um neue Kunden in die Firma zu holen. Wem es gelingt latente Bedürfnisse zu erkennen, wer also hinhören und erkennen kann, wo die eigenen Produkte und Dienstleistungen dem potenziellen Neukunden ein besseres Geschäft ermöglichen, hat gewonnen.

Leider beherrschen viele Betriebe diese Kunst nicht, dabei können schon folgende drei Tipps helfen:

1.) Beleuchten Sie sich und Ihr Unternehmen immer wieder aufs Neue: Was sind Ihre Kernkompetenz und analysieren Sie diese minutiös. Beobachten Sie die Märkte und aktuelle Trends und schauen Sie, wo Sie sich mit Ihren Kernkompetenzen platzieren könnten: Setzen wir die richtigen Akzente? Haben wir die zeitgemäße strategische Ausrichtung? Sind unsere Konzepte umsetzungsfähig?

2.) Seien Sie offen: Zeigen Sie Bereitschaft zu Open Innovation-Ansätzen, das heißt seien Sie bereit Ihre Kernkompetenz mit der Kernkompetenz eines anderen Unternehmens aus einem anderen, ganz neuen Markt zu verschmelzen. So können ganz neue und spannende Ansätze entstehen, Produkte und Dienstleistungen entwickelt werden, die bisher unerschlossene neue Kunden und Märkte anlocken.

3.) Nehmen Sie sich zurück: Es gab in der Vergangenheit Unternehmen, bei denen ich das geplante Budget wieder zurückgegeben habe, weil ich nach kurzer Zeit feststellen musste: Diese Firma wird es einfach nicht schaffen. Sehr oft – und das ist das Absurde daran – scheiterte es gar nicht an der Substanz des Unternehmens, sondern an den Führungskräften. Inhaber müssen auch loslassen können und dürfen nicht patriarchisch führen, sie müssen ihren Mitarbeitern vertrauen, genauso wie externen Partnern. Merke: Übermäßige Kontrolle hemmt jegliche Kreativität.

Autor: Winfried Neun

Bild: Pixabay (CCO)