„Shared Leadership“ – wer führt wen und wer lässt sich führen?

p395289 NEUNsight Februar 2020

Im Interview mit der NEUNsight gibt Dr. Sebastian Tillmann einen Einblick in seine Forschungsarbeit zum Thema der geteilten Führung („shared leadership“) und zeigt auf, welche auch (Team-) Faktoren diese Art von Führung besonders beeinflussen.

NEUNsight:

In Ihrer Dissertation haben Sie die Ursachen von geteilter Führung untersucht. Welches waren die Hauptfaktoren, die sich fördernd für eine geteilte Führung auswirken?

Dr. Sebastian Tillmann:

In Bezug auf geteilte Führung gibt es in der wissenschaftlichen Literatur eine ganze Reihe von Faktoren, die der Bildung von geteilter Führung (engl. „shared leadership“) zuträglich sind. Diese Einflüsse kann man grob so kategorisieren, dass sowohl die formale Führungskraft als auch die Umgebung und die Eigenschaften des Teams eine Rolle spielen. Von Seiten der formalen Führungskraft sind insbesondere ermutigende Verhaltensmuster im Sinne von „empowering leadership“ und Coaching hilfreich, aber auch eine persönliche Bescheidenheit der Führungskraft selbst. Bezüglich der Umgebung des Teams sind zum Beispiel flache, horizontale Strukturen und „power sharing“ von großer Bedeutung. Bezüglich der Teameigenschaften ist z.B. eine geteilte Vision und gegenseitige Unterstützung wichtig.

Ich habe zusammen mit meinen Kollegen für meine Dissertation zwei Hauptfaktoren untersucht: Erstens, der Einfluss individueller Fähigkeiten, insbesondere politischer Fähigkeiten (engl. „political skill“) und zweitens, den Einfluss von Teamkognitionen. Bei den politischen Fähigkeiten geht es nicht, wie viele denken, um Parteipolitik. Stattdessen geht es um die Fähigkeit im Bereich der „office politics“ erfolgreich zu sein, andere beeinflussen zu können und sein eigenes Verhalten an Gegebenheiten anzupassen. Wir waren in der Lage aufzuzeigen, dass Individuen, die über viel politische Fähigkeiten verfügen, mehr an geteilter Führung teilnehmen, und zwar sowohl in führender als auch in folgender Position, je nach Bedürfnis.

NEUNsight:

Bitte erläutern Sie Ihre Herangehensweise anhand der durchgeführten Studien?

Dr. Sebastian Tillmann:

Die Studien haben gänzlich unterschiedliche Herangehensweisen verwendet. Im Bereich der individuellen Faktoren, wie z.B. „political skill“, war es von besonderer Bedeutung die individuellen Führungsbeziehen innerhalb einer Teamstruktur zu betrachten. Anders gesagt, wir wollten genau erfahren: Wer führt wen? Wer lässt sich führen?

Deshalb meine Kollegen und ich eine soziale Netzwerkanalyse des Führungsnetzwerkes durchgeführt. Hierbei werden alle Mitglieder eines Teams oder einer Abteilung gebeten, den Führungseinfluss aller ihrer Kollegen zu bewerten. Aus diesen Bewertungen können wir dann das Netzwerk errechnen und mittels verschiedener statistischer Verfahren schätzen, ob die Beziehungen von Dingen wie der Dauer der Teamzugehörigkeit, dem Alter oder dem Geschlecht abhängen, oder aber tatsächlich von „political skills“.

In der zweiten empirischen Studie wollte ich eher Teams miteinander vergleichen, um zu sehen ob Teams, die hoch entwickelte transaktive Gedächtnissysteme haben, auch mehr geteilte Führung praktizieren. Dazu habe ich 46 Teams mit etwa 350 Mitarbeitenden befragt und deren Antworten ausgewertet, wobei ich fand, dass transaktiver Gedächtnissysteme für geteilte Führung zuträglich sind.

NEUNsight:

Wie würden Sie den Begriff der transaktiven Gedächtnissysteme beschreiben und welche Auswirkungen hat dieser Faktor auf Teams und deren geteilter Führung?

Dr. Sebastian Tillmann:

Bei den Teamkognitionen handelt es sich, im weitesten Sinne, um den Prozess durch den Teams Informationen sammeln, verarbeiten und ablegen. Die transaktiven Gedächtnissysteme sind hier nochmal eine spezielle Art wie diese Informationsverarbeitung beschrieben werden kann und bestehen einerseits aus dem individuellen Wissen aller Teammitglieder, aber auch aus einem übergeordneten Meta-Wissen. Dieses Meta-Wissen umfasst vor allem, dass ich als Teammitglied sehr genau weiß, was meine Kollegen alles wissen. Demnach brauche ich nicht alles Wissen selbst zu beherrschen, oft reicht es vollkommen, wenn ich weiß, wer die nötige Expertise hat. In meiner Studie stellte ich die Hypothese auf, dass diese Kombination aus verschiedenen Expertisen mit einer genauen Übersicht davon, wer was weiß, es Teammitgliedern erlauben würde, effizient die Führungsrolle auszutauschen, so dass immer die Person mit dem Expertenwissen ohne viel Diskussion die Leitung übernehmen kann.

NEUNsight:

Welche Bedeutung haben in diesem Zusammenhang sogenannte formale Führungskräfte auf die Interaktion bzw. den Informationsaustausch in Teams?

Dr. Sebastian Tillmann:

Da geteilte Führung in der Praxis zumeist noch in einem Kontext stattfindet, in dem auch eine formale Führungskraft existiert, ist deren Einfluss nicht zu unterschätzen. In unseren beiden Studien fanden wir Unterstützung für eine komplexe Beziehung zwischen Führungskraft und Team. Zum einen scheint es, dass die Teammitglieder ihre politischen Fähigkeiten am ehesten dann einsetzen, wenn sie von ihrer Führungskraft dazu ermutigt und ermächtigt werden durch den Führungsstil „empowering leadership“. Sogar Teammitglieder, die über geringe politische Fähigkeiten verfügten, wurden deutlich aktiver im Führungsnetzwerk, wenn sie sich von ihrer Führungskraft ermutigt fühlten.

Zusätzlich haben Führungskräfte neben einer ermutigenden Rolle auch eine Position, in der sie den Austausch von Informationen fördern können. In meiner zweiten Studie wurde insbesondere der für die Etablierung von transaktiven Gedächtnissystemen notwendige Informationsaustausch in Teams durch die Führungskräfte auch wieder durch „empowering leadership“ angeregt. Anders gesagt, die Führungskraft kann ihre Mitarbeiter dazu bringen, gute Teamkognitionen zu etablieren, die dann erlauben, Shared Leadership zu entwickeln.

NEUNsight:

Abschließend: Was ist das zentrale Ergebnis Ihrer Studien und welche Rückschlüsse lassen sich auf das Führen von Teams im Bereich der Organisation von Unternehmen ziehen?

Dr. Sebastian Tillmann:

Zuerst einmal muss man meine Studien im Kontext ihrer Limitationen betrachten. Beide Untersuchungen sind erste Vorstöße in diese Forschungsbereiche und konnten, da die Methodik relativ komplex ist, nur an kleineren Stichproben durchgeführt werden. Dementsprechend muss man diese Ergebnisse immer mit Vorsicht genießen. Die Ergebnisse deuten jedoch an, dass geteilte Führung eine komplexe Interaktion zwischen den individuellen Fähigkeiten und Motivationen der Mitarbeitenden, dem Führungseinfluss der Führungskraft und einigen Eigenschaften des Teams selbst benötigt. Anders gesagt funktioniert geteilte Führung dann am besten, wenn man versucht alle Aspekte zu bedenken und sich nicht nur auf Mitarbeiter und/oder die Führungskraft konzentriert. Dennoch lohnt sich der Aufwand, da geteilte Führung deutlich mit positiven Effekten wie erhöhter Teamleistung, Zufriedenheit und Effizienz zusammenhängt.

Interview: Michael Storks

Bild: Pixabay (CCO)