Wenn Gespräche mit dem „Chef“ bereits in der Ankündigung für echtes Unbehagen bei den Mitarbeitern sorgt, dann stimmt was nicht in der Führungskultur. Erfahren Sie wie es besser gemacht werden kann!
Vor kurzem unternahm ich eine kurze Auszeit. Seit Jahren ist eines meiner bevorzugten Reiseziele Italien und auch diesmal zog es mich wieder Richtung Gardasee: Eine solche Fahrt garantiert mir nicht nur Erholung für Körper und Geist, sondern ist gleichzeitig eine unverzichtbare Möglichkeit, mich beruflich weiterzuentwickeln – und das ganz nebenbei, im Urlaub.
Diese Chance, zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen, verdanke ich meinem alten Freund Toni, der dort ein kleines Unternehmen führt, das alte Möbel restauriert und verkauft. Ein Besuch bei Toni führt mir immer wieder vor Augen, dass wir Deutschen so einiges von unseren südländischen Nachbarn lernen können.
Toni ist Chef von 10 Angestellten. Er zahlt ihnen ein gutes Gehalt, er erkundigt sich nach dem Befinden ihrer Mütter und Kinder und mittags isst die ganze Mannschaft zusammen an einem großen Tisch, der im Foyer der Firma steht.
Für all sein Engagement hört Toni vor allem eines: Kritik. „Chef, so können wir das nicht machen“, sagte bei meinem letzten Besuch einer seiner langjährigen Angestellten zu ihm. Er ging zu einem Computer und fuhr mit dem Cursor der Maus über die firmeneigene Homepage: „Unsere Seite ist im Vergleich zur Konkurrenz dermaßen veraltet und unmodern. Da klickt sich doch sofort jeder weg, statt zu stöbern.“
Langsam stellte Toni seine Kaffeetasse auf dem Schreibtisch ab, schaute Francesco lange an und klopfte dem Jüngeren dann fest auf die Schulter: „Bravissimo“, sagte er anerkennend, „du hast Recht. Hast du eine Idee, wer sich darum kümmern könnte?“ Und sofort steckten die beiden mitten in einer lebhaften Diskussion darum, ob Francescos Cousine Michaela besser für die Arbeit geeignet sei oder sein Schwager Marco.
Und ich? Ich musste erst einmal tief Luft holen und das gerade Angesehene sacken lassen. Ich hatte mit einem großen Drama gerechnet, weil der Angestellte seinen Chef kritisierte – und das auch noch vor mir, dem Besuch – doch stattdessen hatte ich einen Mann erlebt, der souverän auf das Gesagte reagierte, so als habe man ihm ein Geschenk gemacht.
„Genauso ist es“, strahlt Toni, als ich ihn später am Tag darauf anspreche, „es ist ein Geschenk, dass sich meine Mitarbeiter solche Gedanken um das Wohl meiner Firma machen und mir somit beweisen, dass sie diese auch als ihr Herzensprojekt ansehen.“
Ich kenne Toni nun seit 20 Jahren und er schafft es immer wieder, mich zu überraschen. Gerne würde ich die eben angesehene Szene auf Film bannen und sie meinen Coaching-Kunden vorführen, um ihnen zu zeigen wie man in einem Unternehmen Kritik-Kultur leben sollte, denn immer wieder muss ich leider feststellen, dass diese ein wunder Punkt in deutschen Firmen ist: Mitarbeiter wie Francesco findet man hier nur sehr selten, nicht, weil sie nichts zu kritisieren hätten, sondern schlicht, weil sie sich nicht trauen!
Das liegt vor allem daran, dass einem hierzulande stets das Gefühl vermittelt wird, Kritik am Vorgesetzten sei unangemessen, gar respektlos.
In Wahrheit ist das Gegenteil der Fall, Kritik ist wichtig, mehr noch: Sie ist eine Chance und eine Bereicherung, denn sie sorgt dafür, dass ein Unternehmen erfolgreicher werden kann. Was nämlich kaum einer weiß ist die Tatsache, dass unser Gehirn vor allem über Fehler dazulernt und sich weiterentwickelt und Fehler erkennen wir oft nur dann, wenn uns jemand darauf aufmerksam macht – uns also kritisiert. Kritik macht uns dementsprechend intelligent, sie sorgt dafür, dass wir schneller und perfekter Entscheidungen treffen können, weil unser Gehirn aus den Fehlern in der Vergangenheit gelernt hat.
Fünf Tipps für eine gute Kritik-Kultur:
1. Nehmen Sie sich ein Beispiel an Start-ups: In der Gründerszene pflegt man einen lockeren, nachahmenswerten Umgang mit Kritik. Der Grund: Junge Unternehmen leben davon, dass sie Dinge ausprobieren. Gründer trauen sich mit einer halbfertigen Lösung anzutreten, um diese dann im Dialog mit den potentiellen Kunden weiterzuentwickeln. Natürlich hagelt es in einem so frühen Stadium viel Kritik. Doch statt Angst vor ihr zu haben, ist sie das Salz in der Suppe, denn nur durch sie vermeidet man den Stillstand.
2. Entwickeln Sie einen Kritik-Kodex: Legen Sie mit Ihren Mitarbeitern fest, was in Sachen Kritik erlaubt ist und was nicht. So muss gewährleistet sein, dass es sich stets um sachliche Kritik handelt, persönliche Angriffe sind verboten. Ergänzen Sie Ihre Kritik zudem um einen konstruktiven Vorschlag, wie es besser laufen könnte.
3. Vermeiden Sie auf Kritik aus einem Impuls heraus, im Idealfall notieren Sie sich das, was angesprochen werden soll, im Vorfeld – so fällt es Ihnen leichter beim Thema zu bleiben.
4. Benutzen Sie Ich-Botschaften: Verzichten Sie auf Sätze wie „Sie müssten doch…“ oder „Sie sollten doch wissen, dass… „ und verwenden Sie stattdessen Formulierungen wie „Ich habe erkannt, dass…“ , „Ich fühle mich dabei nicht wohl….“, „Ich habe den Eindruck, dass…“
5. Reagieren Sie besonnen auf Kritik: Hören Sie sich zunächst alles in Ruhe an und lassen Sie nach dem Gespräch ein bisschen Zeit vergehen. Dann hinterfragen Sie das Gesagte inhaltlich: „Was meinen Sie im Detail?“ , „Warum soll es nicht klappen?“ oder „Woher haben sie ihre Erfahrungen?“
Erfahren Sie mehr im Podcast zum Thema „Chef das geht so nicht!“
Autor: Winfried Neun
Bild: Pixabay (CCO)