Die Digitalisierung der Arbeitswelt hat nicht nur Auswirkungen darauf wie in Zukunft gearbeitet wird, sondern auch auf unsere Wahrnehmung und das damit verbundene Denken. Die Rahmenbedingungen von Arbeit ändern sich radikal. Hierbei zeigen sich große Veränderungen – eine ist dabei besonders dramatisch.
Wie verändert die Digitalisierung die Arbeit, das Denken und Wahrnehmung? Denn die vielfältigen Begleiterscheinungen und Herausforderungen des digitalen Wandels betreffen nicht nur Veränderungen der Arbeitsformen, sondern auch die Bedingungen, unter denen die Menschen heutzutage ihre Arbeit verrichten. Die Diskussion im Rahmen der Digitalisierung fokussierte sich lange auf technologische Entwicklungen und Potenziale. Mittlerweile dreht sie sich auch verstärkt um die Rolle des Menschen in einer digitalisierten Arbeitswelt. So wie sich im Rahmen dieser Betrachtung die Risiken der Automatisierung und Flexibilisierung abzeichnen, zeigen sich zugleich neue Chancen für eine weitere Humanisierung der Arbeit. Es muss nun darum gehen, diesen Wandel zu gestalten, um die Potenziale der Digitalisierung auf beiden Ebenen zu nutzen – sowohl im Sinne eines wirtschaftlichen Erfolgs wie auch gesunder und motivierender Arbeitsgestaltung.
Die fortschreitende Entwicklung der weltweiten Vernetzung von Unternehmensressourcen bringt weitreichende und einschneidende Veränderungen mit sich. Unter anderem werden Änderungen wirtschaftlicher und sozialer Strukturen, sowie ein Wandel von Arbeit prognostiziert. Häufig wird diese Entwicklung hierzulande als Industrie 4.0 bezeichnet, die vierte industrielle Revolution nach der Mechanisierung, Elektrifizierung und Informatisierung der Industrie. Weitreichend unbeleuchtet hingegen bleiben die Auswirkungen auf die Psyche der Betroffenen, der Arbeiter und Beschäftigten, die sich mit der Digitalisierung arrangieren müssen.
Zunehmende Flexibilisierung
Einer der Eckpfeiler der Digitalisierung ist sicherlich die zunehmende Flexibilisierung von Arbeit. Darunter zu verstehen ist eine zeit- und ortsunabhängige Arbeitsverrichtung, die jedem Einzelnen vielfältige neue Chancen bieten soll, so berichtet jedenfalls der Münchner Kreis bereits 2013 in „Arbeit in der Digitalen Welt“. Für das Unternehmen bedeutet es eine Neuausrichtung der Arbeitsorganisation in Richtung einer Schwarm-Organisation, in der qualifiziert und gleichberechtigt agierende Beschäftigte locker miteinander vernetzt werden, fasst Hartmut Hirsch-Kreinsen von der TU Dortmund zusammen. Die Beschäftigten sollen von einer deutlich verbesserten Work-Life-Balance profitieren und ihre Arbeitsbelastung autonomer regulieren können, heißt es oftmals.
Stress durch selbstbestimmte Trennung von Beruf und Freizeit
Tatsächlich kann genau das Gegenteil bewirkt werden. Die Universität St. Gallen stellte in einer Befragung unter 8000 Beschäftigten fest, dass schon heute Digitalisierung zu emotionaler Erschöpfung und Konflikten zwischen Arbeit und Familie führen kann. So steigt das Burn-out-Risiko mit zunehmender Nutzung von Informationstechnologie zu Arbeitszwecken in der Freizeit an. Höhere Erreichbarkeit und zunehmende Flexibilisierung führen zu einer Entgrenzung von Arbeit und Freizeit, wenn noch eine E-mail am Abend eingeht, die beantwortet werden muss. Ein richtiges Abschalten oder eine Erholung von der Arbeit setzt nie ein. Infolgedessen überrascht es nicht, wenn nach einem Wandel des Stellenwerts der Arbeit gerufen wird, in dem Arbeit als integraler Bestandteil des Lebens und nicht als Gegenpol gesehen werden soll, wie es der Münchner Kreis propagiert. Eine romantische Vorstellung, die wohl nicht bei jedem Menschen und jeder Arbeit jederzeit anwendbar sein wird.
Verlust von Mitbestimmung durch Crowdsourcing
Ein weiterer Aspekt der Flexibilisierung ist das sogenannte Crowdsourcing, dem offenen Ausschreiben von Aufgaben an eine nicht definierte Anzahl unterschiedlich spezialisierter Akteure. Wenn durch digitale Formen des Outsourcings nun ganze Bereiche der Arbeit nicht mehr zum eigentlichen Betrieb gehören, untergräbt dies die Schutz- und Mitbestimmungsrechte der Beschäftigten, so argumentieren Mengay und Pricelius in “Digitalisierung der Arbeit, Industrie 4.0 und der schwierige Weg zu einer Mitbestimmung 4.0.” Gepaart mit einer fehlenden Regulation droht das Abdriften in einen parallelen Auftragsmarkt und andere prekäre Arbeitsformen, welche dort Beschäftigte unter zusätzlichen Stress setzen. Insgesamt verlangt die Flexibilisierung höhere Anforderungen und Selbstverantwortung von den Beschäftigten ab, wenn es etwa um die Gestaltung des heimischen Arbeitsplatzes und die bewusste Integration von Ruhezeiten geht.
Arbeitsplatzverlustangst durch drohende Automatisierung
Ein offensichtlicher Faktor in der Psyche jedes Beschäftigten ist natürlich die Angst, ob der Digitalisierungsprozess den eigenen Job ersetzen wird. So sollen ungefähr die Hälfte aller Jobs von Automatisierungsprozessen betroffen sein, insbesondere einfache industrielle Tätigkeiten. Zwar wird davon ausgegangen, dass neue, komplementäre Tätigkeiten entstehen werden, Verlassen werden sollte sich darauf allerdings nicht.
Qualifikationserweiterung und Anpassungsdruck
Besonders an der Digitalisierung ist, dass die Automatisierungsprozesse nicht nur den unteren, sondern auch den mittleren Qualifikationsbereich betreffen und sogar kreative und sozial-interaktive Abläufe. So kann es zur Neuausrichtung bestimmter Berufsfelder kommen, wenn einige Komponenten automatisiert werden und die Kompetenzen auf anderen Gebieten erweitert werden. Nötig sind in diesem Fall einmalige oder ständige Erweiterungen der Qualifikationen der Mitarbeiter. Die Universität St. Gallen stellte fest, dass technologischer Anpassungsdruck einer der Hauptakteure für emotionale Erschöpfung ist. So sind in der IT-Branche, in der sich ständig an die technologische Entwicklung angepasst werden muss, höherer Absentismus, niedriges Engagement am Arbeitsplatz und eine hohe Fluktuationsrate zu beobachten.
Weiterbildung und das Verlernen von Fähigkeiten
Ein weiterer Eckpfeiler der Digitalisierung ist zwangsläufig die Weiterbildung der Beschäftigten, um Fähigkeiten, die an Bedeutung gewinnen zu schulen, wie etwa eine digitale Kompetenz. Selbstmanagement und Selbstorganisationsfähigkeiten werden im Rahmen der Flexibilisierung an Bedeutung gewinnen. Eine Sorge ist, dass ein dauerhafter Verlust von praktischen Handlungskompetenzen, Erfahrungswissen und Problemlösungsfähigkeit in Störsituationen auftritt, der Prozesse betrifft, die zukünftig automatisiert worden sind. Es muss also auch ein Verständnis für die Funktion und Wirkungsweise der automatisierten Prozesse aufgebaut werden. Aufgrund verschiedener Faktoren kann sich jedoch eine tief liegende Abneigung gegen neue Technologien bei Beschäftigten ausbilden, etwa aus der Sorge, den Arbeitsplatz zu verlieren, wenn mit anderen nicht mehr mitgehalten werden kann.
Führungskräfte, virtuelle Teamarbeit und Vertrauen
Mehr Last müssen auch die Schultern der Führungskräfte tragen, indem sie ihre Kompetenzen auf einer Vielzahl von Gebieten erweitern müssen, um im Zuge der Digitalisierung bestehen zu können, so lautet die Einschätzung des Münchner Kreises. Zwei dieser Kompetenzen wären beispielsweise Kommunikations- und Medienkompetenz, die es ermöglichen, auch in virtuellen Umgebungen Mitarbeiterbindung, Zusammengehörigkeitsgefühl und Vertrauen aufzubauen. Dies sind entscheidende Faktoren, für das Gelingen virtueller Teamarbeit, die irgendwie in ein ergebnisorientiertes Führungs- und Anreizsystem integriert werden müssen.
Unabhängig davon, durch welche Mittel die digitale Revolution der Arbeitswelt erfolgt, es steht fest, dass diese mit umfangreichen Veränderungen der bisherigen Arbeitsweise einhergehen. Für Beschäftigte und Führungskräfte kann dies durchaus als ein Grund zur Sorge gesehen werden. Während sie sich ständig neue Kompetenzen aneignen müssen und das Arbeitstempo steigt (So hat die Arbeitsgeschwindigkeit laut der European Foundation for the Improvement of Living and Working Conditions seit Beginn des Jahrtausends stetig zugenommen), ist auf der anderen Seite kein eindeutiger Zugewinn oder Vorteil für sie sichtbar. Durch eine Arbeitskultur, welche die Beschäftigung von Zeit und Ort unabhängig macht, den Mitarbeiter quasi jederzeit verfügbar haben will und mit knappen Zeitlimits arbeitet (auch dieser Wert steigt stetig an), wird die emotionale Erschöpfung (Burnout) der Beschäftigten noch weiter erhöht.
Autor: Peter Hathington
Bild: Pixabay (CCO)