„Manchmal reicht wenig, um viel zu bewirken“ – Ein Arzt über Resilienz und medizinische Einsätze in Uganda

p395289 NEUNsight März 2025

Wie geht man mit den emotionalen und körperlichen Herausforderungen um, wenn man unter schwierigen Bedingungen medizinische Hilfe leistet? Dr. Jochen Heiser, Anästhesist, engagiert sich in Uganda im Herniencamp. Im Gespräch mit dem NEUNsight Magazin erzählt er von seinen Erfahrungen in Uganda – von belastenden Momenten, großer Dankbarkeit und der Kraft der Resilienz.

NEUNsight: Herr Dr. Heiser, vielen Dank, dass Sie sich die Zeit nehmen. Erzählen Sie uns doch ein bisschen über sich. Wie sind Sie zur Medizin gekommen?

Dr. Heiser: Gerne. Ich bin 46 Jahre alt und habe einige Jahre als Oberarzt für Anästhesie in einem Klinikum am Bodensee gearbeitet, davor war ich in Karlsruhe tätig. Seit 18 Jahren bin ich in der Anästhesie, Intensivmedizin und auch als Notarzt aktiv. Kürzlich habe ich mich beruflich noch einmal verändert und eine Weiterbildung zum Facharzt für Allgemeinmedizin begonnen. Außerhalb des Berufs bin ich Familienvater von zwei Töchtern im Grundschulalter.

Meine Faszination für Afrika begann während meines Studiums, als ich einige Zeit in Südafrika verbrachte. Auch meine Frau habe ich dort kennengelernt. Seitdem verbindet uns beide eine tiefe Begeisterung für den Kontinent.

NEUNsight: Wie sind Sie zu dem Projekt in Uganda gekommen?

Dr. Heiser: Das kam eher zufällig. Ein befreundeter Chirurg aus meiner Klinik, der von Anfang an dabei war, hat mich gefragt, ob ich mitmachen möchte. Das kam genau zur richtigen Zeit. Ich hatte das Gefühl, in meinem Berufsalltag festzustecken, und war auf der Suche nach einer neuen Herausforderung. Auslandserfahrungen hatten mich immer gereizt, aber mit Familie und Klinikalltag schien das lange unrealistisch. Als die Möglichkeit dann plötzlich da war, habe ich nicht lange überlegt.

Klinik mit wartenden Patient:innen vor Ort

NEUNsight: Worum geht es bei dem Projekt genau?

Dr. Heiser: Das Projekt in Uganda wurde von Sabine Pühl (Beiname „Mama Buluba“), einer sehr engagierten OP-Pflegekraft ins Leben gerufen und vom Verein Helfende Hände e.V. (Calw) getragen. Mittlerweile findet das Projekt zum 6. Mal in dem kleinen einfachen Missionskrankenhaus St. Francis in Buluba, Uganda statt. In zehn OP-Tagen operieren wir rund 250 Patientinnen und Patienten mit Bauchwandbrüchen. Hernien sind dort ein großes Problem, weil es kaum Möglichkeiten zur Behandlung gibt und sich viele Menschen die OPs nicht leisten können. Mitunter führen diese Hernien zu schwerer körperlicher Beeinträchtigung bis hin zur Unmöglichkeit der körperlichen Arbeit und nicht selten zum Verlust der Arbeitsfähigkeit des Ernährers oder Hauptverdieners der Familie. Auch schwere komplikative Verläufe mit Darmverschlüssen und Mangelernährung kommen vor.

Unser Team aus Deutschland besteht aus Chirurginnen und Chirurgen, Anästhesistinnen und Anästhesisten sowie OP- und Anästhesiepflegekräften. Wir reisen auf eigene Kosten an, und die Eingriffe selbst sind spendenfinanziert. Die Patienten zahlen eine kleine Registrierungsgebühr, um sicherzustellen, dass sie auch wirklich zum Termin erscheinen, aber die eigentliche Behandlung ist kostenlos.

NEUNsight: Wie sieht Ihre Rolle konkret aus?

Dr. Heiser: Als Anästhesist bin ich für die Narkosen verantwortlich. Das beginnt schon bei der Visite am Vorabend, wo wir entscheiden, welches Verfahren für wen am besten geeignet ist. Während der OP überwache ich die Patienten, sorge für eine sichere Narkose und kümmere mich mit meinem Team um die gesamte technische Ausstattung, also Narkosegeräte, Überwachungsmonitore und Medikamente.

NEUNsight: Arbeiten Sie dabei auch mit lokalem Personal zusammen?

Dr. Heiser: Ja, ohne das wäre das Projekt nicht möglich. Die Registrierung der Patienten und die erste Untersuchung macht das lokale Team. Während des Camps helfen uns die einheimischen Ärzte und Pflegekräfte sowohl bei der OP als auch in der Nachsorge. Manche ärztliche Kolleginnen und Kollegen assistieren sogar bei den Eingriffen oder operieren unter Anleitung selbst. Es gibt also einen echten Wissenstransfer.

NEUNsight: Was sind die größten Herausforderungen vor Ort?

Dr. Heiser: Es gibt viele. Die sprachliche Barriere ist ein Problem, da viele Patienten nur ihre Stammessprache sprechen und kaum Englisch verstehen. Auch die medizinische Vorgeschichte der Patienten ist oft unklar. Apparatemedizin wie in Deutschland gibt es nicht, wir arbeiten mit einfachen Mitteln.

Dann ist da noch die Infrastruktur. Es gibt nur eine Handvoll Ärzte im Krankenhaus, das Equipment ist oft alt und nicht immer in gutem Zustand. Wir bringen vieles aus Deutschland mit, weil es vor Ort entweder nicht verfügbar oder viel zu teuer ist. Eine einfache OP-Methode, wie wir sie verwenden, kann für einen Patienten aber trotzdem einen riesigen Unterschied machen. Plötzlich kann er wieder arbeiten und seine Familie ernähren.

NEUNsight: Gab es besondere Momente, die Ihnen in Erinnerung geblieben sind?

Dr. Heiser: Viele. Besonders eindrücklich fand ich meinen ersten Einsatz. Damals gab es in Uganda einen Ebola-Ausbruch. Trotzdem haben wir beschlossen, das Camp durchzuziehen. Ich war der einzige Anästhesist aus Deutschland und hatte einen erfahrenen Anästhesiepfleger an meiner Seite. Das war extrem fordernd, aber auch unglaublich bereichernd.

NEUNsight: Was nehmen Sie persönlich aus dieser Arbeit mit?

Dr. Heiser: Es zeigt mir immer wieder, wie viel man mit einfachen Mitteln bewirken kann. Medizin reduziert sich dort auf das Wesentliche: Patient, Diagnose, Behandlung. Ohne viel Bürokratie und Technik, aber mit großer Wirkung. Das zu erleben, gibt mir unglaublich viel zurück und hat auch meine Sicht auf die Medizin in Deutschland verändert.

Haupt OP-Saal

NEUNsight: Welche emotionalen Herausforderungen bringt die Arbeit in Uganda mit sich? Gab es Momente, in denen Sie an Ihre Grenzen gekommen sind?

Dr. Heiser: Ja, auf jeden Fall. Eine der größten Herausforderungen ist der Umgang mit der extremen Armut. Man sieht Menschen, die in Lehmhütten ohne Strom und fließendes Wasser leben, und erkennt schnell, wie begrenzt die medizinischen Möglichkeiten sind. Besonders schwierig ist es, wenn Patienten große Hoffnungen in uns setzen, wir ihnen aber nicht immer helfen können. Das kann sehr belastend sein.

NEUNsight: Gab es eine Situation, die Sie besonders mitgenommen hat?

Dr. Heiser: Ja, ein besonders einschneidender Fall war ein 10-jähriges Mädchen mit einer schweren Blinddarmentzündung. Sie war tagelang von einem traditionellen Heiler behandelt worden, was ihren Zustand erheblich verschlechtert hatte. Als sie schließlich in unser Krankenhaus kam, war sie in einem kritischen Zustand. Wir haben alles versucht, sie zu stabilisieren, aber die medizinischen Möglichkeiten waren sehr begrenzt. Es gab keine Intensivstation, keine künstliche Ernährung – nur ein einziges Antibiotikum.

NEUNsight: Das klingt unglaublich belastend. Wie sind Sie mit dieser Situation umgegangen?

Dr. Heiser: Das war einer der Momente, in denen ich wirklich an meine Grenzen kam. Ich erinnere mich, wie ich eines Abends völlig erschöpft auf den Stufen unserer Unterkunft saß und einfach nicht wusste, wie es weitergehen sollte. Zum Glück hatte ich ein starkes Team um mich herum, das mich unterstützt hat. Auch der Kontakt zu meinem sozialen Umfeld in Deutschland hat mir geholfen. Ich habe ihnen von dem Mädchen erzählt, und innerhalb kürzester Zeit kamen Spenden für ihre weitere Behandlung zusammen. Am Ende hat sie es tatsächlich geschafft – wir bekamen später Videos, auf denen sie lächelnd aus dem Krankenhaus ging.

NEUNsight: Wie verarbeiten Sie solche emotionalen Belastungen? Haben Sie bestimmte Strategien, um mental stabil zu bleiben?

Dr. Heiser: Ich versuche, mich auf das Wesentliche zu konzentrieren und im Handlungsmodus zu bleiben. Wenn es schwierig wird, hilft es, sich mit dem Team auszutauschen und die Situation gemeinsam zu reflektieren. Auch kleine Rituale sind wichtig: Zum Beispiel gemeinsam den Sonnenuntergang auf der Veranda zu genießen oder abends Karten zu spielen. Und dann gibt es noch den freien Tag nach sechs OP-Tagen – da unternehmen wir Ausflüge, um etwas von Uganda zu sehen und durchzuatmen.

NEUNsight: Sie arbeiten ja auch in Deutschland im medizinischen Bereich. Gibt es Unterschiede in der Art, wie Sie emotionale Belastungen in Deutschland und Uganda wahrnehmen?

Dr. Heiser: Eigentlich nicht. Die Belastungen sind zwar unterschiedlich – in Deutschland ist es eher der Druck durch Bürokratie und Zeitmangel, in Uganda sind es die schwierigen Arbeitsbedingungen und die begrenzten Ressourcen. Aber die Art, wie ich damit umgehe, ist ähnlich: Ich reflektiere viel und versuche, den Fokus auf das zu legen, was ich tatsächlich beeinflussen kann.

NEUNsight: Hat Ihr Engagement in Uganda Ihre Sichtweise auf den medizinischen Alltag in Deutschland verändert?

Dr. Heiser: Definitiv. Mir ist noch bewusster geworden, in welchem Luxus wir leben, wenn es um Gesundheitsversorgung geht. Gleichzeitig hat sich meine Haltung zur Ressourcennutzung verändert – in Uganda gibt es keine überflüssigen Untersuchungen oder unnötige Diagnostik. Ich denke, auch in Deutschland könnten wir manchmal effizienter arbeiten und mehr darauf achten, was wirklich notwendig ist.

Dr. Heiser während der Narkose

NEUNsight: Was haben Sie persönlich aus Ihrer Arbeit in Uganda mitgenommen?

Dr. Heiser: Dass man mit wenig Mitteln oft schon sehr viel bewirken kann. Und dass Erfahrung und genaue Patientenbeobachtung manchmal wertvoller sind als die beste Technik. Ich habe auch gelernt, Dinge entspannter zu sehen – in Uganda läuft vieles anders, aber es funktioniert trotzdem.

NEUNsight: Welche Tipps würden Sie anderen medizinischen Fachkräften geben, die sich im Ausland, vor allem im globalen Süden, engagieren möchten?

Dr. Heiser: Offen sein und nicht den Fehler machen, alles eins zu eins so umsetzen zu wollen, wie man es aus Deutschland kennt. Es geht nicht darum, die perfekte Medizin nach unseren Maßstäben zu machen, sondern darum, nachhaltig zu helfen. Ortskräfte müssen weiterhin arbeiten können, wenn wir nicht da sind – und das oft mit sehr einfachen Mitteln.

Voruntersuchung

NEUNsight: Wie hat Ihr Engagement Ihre Perspektive auf globale Gesundheitsfragen verändert?

Dr. Heiser: Vor allem habe ich erkannt, dass Gesundheitsversorgung immer auch mit Bildung zusammenhängt. In Uganda können viele Menschen weder lesen noch schreiben, was den Zugang zu medizinischer Versorgung zusätzlich erschwert. Wenn wir weltweit für eine bessere Gesundheitsversorgung sorgen wollen, müssen wir auch in Bildung investieren – das ist die Basis für nachhaltige Veränderungen.

NEUNsight: Wie können Leserinnen und Leser das Uganda-Projekt unterstützen?

Dr. Heiser: Der Verein Helfende Hände e.V. organisiert dieses und viele weitere Projekte in Uganda, Burundi und Mauretanien. Ohne Spenden wäre diese Arbeit nicht möglich, denn die Operationen werden ausschließlich durch Spendengelder finanziert. Schon mit ca. 70 € kann eine Operation ermöglicht werden.

Die einfachste Möglichkeit, das Projekt zu unterstützen, ist eine Spende oder eine Mitgliedschaft im Verein. Darüber hinaus sind wir stets auf der Suche nach dringend benötigten medizinischen Materialien, die einen großen Kostenfaktor darstellen – etwa Nahtmaterial, Implantate (Netze) oder Spinalnadeln. Besonders wertvoll sind Sachspenden von Firmen, die solche Produkte herstellen oder vertreiben. Auch weitere Medizinprodukte aus den Bereichen OP-Bedarf, Überwachungsmonitore, Sterilisation und Narkosegeräte sind eine große Hilfe.

NEUNsight: Dr. Heiser, vielen Dank für das Gespräch.

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Wer das Projekt finanziell unterstützen möchte, kann seine Spende mit dem Verwendungszweck „Uganda“ + Name und Adresse auf folgendes Konto überweisen:

Helfende Hände e.V.

Sparkasse Pforzheim-Calw

IBAN: DE53 6665 0085 0000 1785 00

Weitere Informationen zu den Aktivitäten des Vereins und zu Unterstützungsmöglichkeiten gibt es auf der Homepage:

www.helfende-haende.cw-net.de

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Copyright Bilder: Dr. Heiser / Sabine Pühl