Den Alltags-Stress besser managen!

p395289 NEUNsight Oktober 2019

Wie gelingt es uns, unseren Alltag besser zu managen? Wir geben Ihnen vier Tipps an die Hand, um die Doppelbelastung aus Job und Kinder besser unter einen Hut zu bekommen!

Meine Kolumnen entstehen oft aus einem aktuellen Anlass, etwa weil mich im Freundeskreis jemand auf ein Problem aufmerksam macht oder weil einer meiner Coaching-Kunden mich um Hilfe bittet. Auch mein heutiges Thema wurde sozusagen an mich herangetragen – beziehungsweise fiel es mir geradezu (und das gilt in diesem Fall wortwörtlich!) vor die Füße.

Voriges Wochenende war ich im Supermarkt einkaufen, ich stand gerade in der Gemüseabteilung, als ich plötzlich lautes Gebrüll hörte. Ein kleines Etwas schoss in rasender Geschwindigkeit an mir vorbei, laut schreiend, in der Hand eine Packung Kekse. Dabei übersah das Etwas meinen Fuß und fiel – nahezu slapstickartig – vor mir auf den Boden. Vor lauter Schreck hörte es plötzlich auf zu weinen und zu schreien. Ich half dem Etwas – es war ein kleiner Junge, vielleicht drei Jahre alt – wieder auf die Füße und sagte: „Diese Kekse sind toll, die esse ich auch am liebsten.“ Genau in dem Moment kam seine Mutter um die Ecke und rief: „Felix!! Ich fasse es nicht. Ist Ihnen etwas passiert?“ Die letzte Frage war an mich gerichtet.

Ehe ich antworten konnte, hob sie den Kleinen hoch und sagte: „Was sollte das denn? Warum machst du so ein Theater? Ich hatte einen anstrengenden Tag, im Büro lief alles schief und dann so etwas…“ Sie sah aus, als würde sie gleich anfangen zu weinen.

Ich war hin- und hergerissen. Sollte ich etwas sagen? Oder sollte ich mich zurückhalten? Was war angemessen? Ich beschloss es zu riskieren – auch wenn die Gefahr zurückgewiesen zu werden groß war: „Da vorne ist ein Bäcker. Darf ich Sie und den Kleinen auf den Schrecken hin zu einem Kaffee und einem Kakao einladen? Schließlich habe ich ja auch ein bisschen Schuld an dem Ganzen, immerhin stand ich Felix bei seinem Rennen im Weg…“

Jetzt kullerte wirklich eine Träne über ihr Gesicht. Sie nickte. Felix im Schlepptau ließen wir uns an einem der kleinen Tische nieder. Ich erfuhr, dass sie heute ein Gespräch mit ihrer Chefin gehabt hatte, bei dem diese sich darüber beschwert hatte, dass sie zu oft fehle, weil Felix zu viel krank sei. Dabei, so betonte sie empört, hat die Frau selbst Kinder und weiß, wie schwierig es ist alles unter einen Hut zu bekommen. Ich nickte. Genau über dieses Thema hatte ich erst vergangene Woche mit einer guten Freundin gesprochen, deren Tochter zu ihr gesagt hatte: „Beruf und Familie lässt sich nicht problemlos verbinden – wer das behauptet, lügt.“ Ich gebe der Tochter meiner Freundin recht – und ich verstand das Problem der jungen Mutter, mit der ich beim Bäcker zusammensaß. Ich bin sicher, dass jede Mutter und jeder Vater diese Schwierigkeit kennt.

Leistungsdruck allerorten

Wir leben in einer Zeit, in der jeder für sich immer noch mehr leisten möchte. Es scheint selbstverständlich zu sein, Top-Leistungen im Beruf zu verbringen, seine Kinder perfekt zu versorgen, sich um seine Freunde und die eigenen Eltern zu kümmern und natürlich ein toller und verlässlicher Partner zu sein. Das kann eine zeitlang funktionieren, aber irgendwann fällt einem dieses Konstrukt auf die Füße. Wir bekommen das Gefühl, dass 24 Stunden nicht ausreichen, um alles zu erledigen, was wir wollen. Die Folge sind ein Gefühl der Unfähigkeit und des Überfordertseins. Ein anhaltend schlechtes Gewissen in Sachen Job und Kindern. Hält dieser Zustand zu lange an, droht uns ein Burnout.

Tatsächlich kann unser Gehirn mit dieser hohen Anzahl an Absichtserklärungen, die wir ihm zumuten, nämlich gar nicht umgehen: Wenn das sogenannte Intentions-Gedächtnis zu schnell und üppig gefüllt wird, geht es in Streik – und wir bekommen gar nichts mehr geregelt.

Das Schlimme oder das Gute daran – je nachdem wie man es betrachtet – ist die Tatsache, dass wir selbst die Schuld an dieser unheilvollen Lage tragen: Wir sind es, die entscheiden, ob und wann wir Dinge erledigen müssen. Wir sind es, die auch einmal sagen müssen, dass wir eine Sache nicht machen werden, weil uns dafür die Zeit fehlt. Nein sagen zu können, ist eine sehr wichtige Fähigkeit, die uns davor schützt, uns zu übernehmen.

Vier Tipps, um die Doppelbelastung aus Job und Kinder besser unter einen Hut zu bekommen:

1. Seien Sie offen: Besprechen Sie sich regelmäßig mit Ihrem Partner/Ihrer Partnerin: Was ist Ihnen wichtig? Wann fühlen Sie sich überfordert? Wie soll Ihr Kind aufwachsen? Welche Erwartungen haben Sie gegenseitig an sich? Was tun Sie im Worst-Case, wenn das Kind wirklich Hilfe benötigt? So ist alles bereits geklärt und man vertrödelt im Ernstfall keine Zeit mit Diskussionen. Fressen Sie nichts in sich hinein: Viel reden und ehrlich sein hilft, um Ihre Beziehung aufrecht zu erhalten, auch wenn manchmal alles über Ihrem Kopf zusammenzubrechen droht.

2. Verzichten Sie auf Zeitmanagement: Das mag im ersten Moment seltsam klingen, aber Zeitmanagement ist mit Kindern schlicht nicht möglich. Wer kann schon vorausschauen, ob das Kind krank wird oder Stress mit den Klassenkameraden bekommt und Redebedarf hat? Darum kostet diese Planung nur unnötige Zeit, sie zwingt uns in ein Korsett und sorgt dafür, dass wir verlernen auf unsere Intuition zu hören, was mich zu meinem nächsten Punkt führt.

3. Hören Sie auf Ihr Bauchgefühl: Lassen Sie sich nicht von anderen dazu verführen Dinge zu machen, die Sie eigentlich für nicht notwendig halten. Sie haben keine Lust auf Eltern-Kind-Turnen oder halten den Englisch-Kurs für Ihren Kleinsten übertrieben? Sie wollen keinen Club-Urlaub mit Ihrem Kind machen, sondern am liebsten am heimischen Baggersee bleiben? Machen Sie das! Nur weil andere Ihnen sagen, dass etwas förderlich und wichtig ist (etwa für die Entwicklung Ihres Nachwuchses oder die Eltern-Kind-Bindung) muss das für Sie persönlich noch lange nicht stimmen. Lassen Sie sich kein schlechtes Gewissen einreden. Sie alleine tragen die Verantwortung!

4. Lassen Sie sich nicht täuschen: In unserem Umfeld, in den Sozialen Netzwerken sehen wir, was andere Eltern (vermeintlich) leisten, indem sie Kinder und Job (vermeintlich) großartig unter einen Hut bekommen. Ich sage bewusst vermeintlich, denn all das, was Sie dort zu sehen bekommen, sind nur Ausschnitte des wahren Lebens und die meisten davon sind inszeniert. Führen Sie sich das immer wieder vor Augen. In jeder Familie gibt es Krisen, perfekt ist niemand. Das hilft manchmal, wenn es zu Hause oder im Job wieder einmal drunter und drüber geht.

Und die junge Mutter? Als sie ihren Kaffee ausgetrunken, und Felix seinen Kakao geleert hatte, begleitete ich sie noch zu Ihrem Auto und half ihr die Einkäufe zu verladen. Dann rief sie beim Pizzaservice an und bestellte sich, dem Kleinen und ihrem Mann, der auf dem Weg zurück vom Büro war, eine Pizza nach Hause. „Wie meinte Sie noch so schön? Man muss auch mal Fünf gerade sein lassen“, sagte sie lachend und umarmte mich zum Abschied.

Autor: Winfried Neun

Bild: Pixabay (CCO)