Führungskräfte haben Einfluss auf die Resilienz ihrer Mitarbeiter

p395289 NEUNsight April 2020

Im Interview mit der NEUNsight spricht Dr. Sebastian Tillmann über Resilienz in Krisenzeiten und die Bedeutung, die Führungskräften dabei zukommt.

NEUNsight:

Was ist unter Resilienz überhaupt zu verstehen?

Dr. Sebastian Tillmann:

Resilienz wird in der Forschung recht unterschiedlich verwendet, beschreibt aber im Allgemeinen die Fähigkeit, sich die mentale Gesundheit im Angesicht von widrigen Umständen und Rückschlägen zu erhalten oder sich nach so einem Rückschlag wieder zu erholen. Was die Details angeht, verweise ich gerne auf einen systematischen Überblick der bestehenden Literatur von Ayden und Kollege. In ihrem 2018 in der Fachzeitschrift Psychology and Psychotherapy: Theory, Research and Practice erschienenen Artikel werden die unterschiedlichen Perspektiven der individuellen Resilienz entweder als Prozess oder als verfügbare Ressource betrachtet.

Der Prozess, in dem Resilienz sich abspielen kann, besteht aus drei unterschiedlichen Elementen, die in Individuen sehr unterschiedlich auftreten können. Erstens, Immunität. Hier zeigen manche Individuen eine erhöhte Widerstandsfähigkeit gegenüber Rückschlägen, indem sie sich dabei ihre mentale Gesundheit bewahren – sie sind also quasi gegenüber den meisten Rückschlägen „immun“. Zweitens, die Fähigkeit sich von Rückschlägen schnell zu erholen, was Ayden und Kollegen als „bouncing back“ bezeichnen. Und drittens, die Fähigkeit, sich nach einem Rückschlag nicht nur schnell zu erholen, sondern auch daran zu wachsen, sprich nach der Erholung stärker zu sein als vorher.

Die Ressourcen unterteilen Ayden und Kollegen in persönliche und soziale Ressourcen. So besitzen Individuen oft persönliche Ressourcen oder Eigenschaften, die es ihnen erlauben, mit Rückschlägen oder Schwierigkeiten besser umzugehen. Hier werden unter anderem Motivation und auch Humor als Beispiele genannt. Die sozialen Ressourcen beziehen sich in erster Linie auf die Verfügbarkeit sozialer Ressourcen und Beziehungen, auf die man im Fall von Rückschlagen zurückgreifen kann.

NEUNsight:

Weshalb ist das Thema Resilienz für Sie in Ihrer Forschung interessant?

Dr. Sebastian Tillmann:

Resilienz ist für uns als Team- und Führungsforscher besonders deshalb interessant, weil wir davon ausgehen, dass Führungskräfte durch ihr Verhalten einen starken Einfluss sowohl auf die Resilienz ihrer Mitarbeiter als auch auf die Resilienz ganzer Teams haben können. Diese Beziehung, also zwischen Führung und insbesondere Teamresilienz, wurde in der bisherigen Forschung aber noch nicht ausreichend erforscht, was es für uns natürlich doppelt spannend macht.

NEUNsight:

Warum ist Resilienz gerade in Krisenzeiten, wie wir sie gerade durchleben, so wichtig?

Dr. Sebastian Tillmann:

Krisenzeiten, wie wir sie gerade erleben, stellen quasi die Definition von Widrigkeiten und Rückschlägen dar, wie sie in der Resilienzforschung betrachtet werden. Das kann die Erkrankung von Familienmitgliedern und damit verbunden natürlich das Risiko fataler Krankheitsverläufe, oder auch die Furch davor. Zusätzlich erhöht die Situation natürlich die Anforderungen an alle, insbesondere natürlich an diejenigen, die im medizinischen Bereich oder in der Pflege beschäftigt sind. Gerade die mögliche Dauer der Krise stellt eine langfristige Überbelastung von Mitarbeitenden in Aussicht. Die Forschung würde hier vorhersagen, dass Mitarbeitende mit hoher Resilienz diesem Druck sowohl länger standhalten können als sich auch von den Rückschlägen und der dauerhaften Belastung schneller wieder erholen können.

NEUNsight:

Welchen Zusammenhang gibt es zwischen den Themen Home-Office und Resilienz? Sind Home-Office Regelungen der persönlichen Resilienz eher zuträglich oder schädlich?

Dr. Sebastian Tillmann:

Das ist eine sehr spannende Frage. Mir sind keine Studien bekannt, die explizit den Effekt von Home-Office auf Resilienz in den Fokus stellen und auch eine zugegebenermaßen kurze Suche nach ähnlichen Begriffen war leider nicht erfolgreich. Mir scheint, dass es sich dabei um ein sehr unterbeforschtes Feld handelt. Daher möchte ich auch nicht spekulieren, denn einerseits reduziert Home-Office natürlich gewisse Anforderungen (z.B. tägliches Pendeln, Risiko der Ansteckung), schafft aber auch wieder neue Anforderungen (z.B. Schwierigkeiten der Telekommunikation, Kinderbetreuung), so dass die Belastungen womöglich individuell sogar höher ausfallen könnten. Ohne eine genauere empirische Betrachtung, die mir im Moment nicht vorliegt, kann ich daher keine Aussagen machen.

NEUNsight:

Was kann von Arbeitgeberseite getan werden, um die Resilienz der Mitarbeiter in Krisenzeiten zu stärken?

Dr. Sebastian Tillmann:

Es gibt eine ganze Reihe von Studien, die sich mit den Ursachen von Resilienz in Unternehmen beschäftigt haben. Für mich als Führungsforscher ist natürlich das Führungsverhalten der Vorgesetzten von besonderem Interesse und in der Tat zeigen Studien, dass z.B. transformational leadership und authentic leadership positiv mit der individuellen Resilienz der Mitarbeiter zusammenhängen. Beide Führungsstile haben gemeinsam, dass sie die Entwicklung und Berücksichtigung der Interessen der Mitarbeiter stark berücksichtigen. Sie könnten daher durchaus als soziale Ressourcen verstanden werden. Anders gesagt, die Führungskraft selbst ist durch ihre Art zu führen eine Ressource, die den Mitarbeiter unterstützt, wenn es zu Rückschlagen kommt.

Davon abgesehen spielt auch organisationale Achtsamkeit eine Rolle, wie eine Studie von Soucek und Kollegen in der Fachzeitschrift Gruppe. Interaktion. Organisation. aus dem Jahr 2018 belegt. Sie definieren dabei organisationale Achtsamkeit als:

(1) Die kontinuierliche Beschäftigung mit Fehlern, (2) ein fortlaufendes Hinterfragen bestehender Annahmen und Abneigung gegen vereinfachende Interpretationen, (3) eine ausgeprägte Sensibilität für betriebliche Abläufe, (4) die Akzeptanz und das Verständnis von Rückschlägen als Gelegenheit zum Lernen und zu flexibler Ausrichtung und (5) dem Respekt vor fachlichem Wissen und Können. (S. 131).

Die organisationale Achtsamkeit zeigt hier insbesondere einen Effekt auf resilientes Verhalten. Das heißt Verhalten, das dazu dient, mit Rückschlagen effektiv umzugehen und Strategien zur Bewältigung zu entwickeln.

NEUNsight:

Welche Strategien kann jeder Einzelne anwenden, um die eigene Resilienz zu stärken?

Dr. Sebastian Tillmann:

Ein kurzer Blick in die bestehende Literatur zeigt wenige Möglichkeiten, Resilienz direkt und eigenständig zu erhöhen, denn zuträgliche Faktoren wie Optimismus, Motivation, Humor oder eine pro-aktive Persönlichkeit lassen sich nicht eben über Nacht bei sich selbst erzeugen. Mit Blick auf die bestehende Forschung erscheint es mir, dass die Resilienz stark von den Aktionen anderer abhängig ist, also von der sozialen Unterstützung, die uns von anderen zuteilwird. Hier wäre es demnach wichtiger zu Fragen: Was kann jeder Einzelne tun, um die Resilienz seiner Mitmenschen zu stärken? Anderen Optimismus zu vermitteln ist vielleicht hilfreicher, als es bei sich selbst zu versuchen. Social support, d.h. soziale Unterstützung ist hierbei auch ein starker Prädiktor von Resilienz und jeder von uns ist potentiell in der Position, eine solche Stütze für Andere zu sein.

Aber natürlich möchte ich auch Individuen nicht gänzlich alleinstehen lassen. Während ich keine Ratschläge zur Stärkung der eigenen Resilienz geben kann, kann ich sehr wohl darauf verweisen, dass es einige Methoden gibt, um Stress und Ängste zu reduzieren. So zeigte die erst letztes Jahr erschienene Meta-Analyse von Spinelli und Kollegen in der Fachzeitschaft Journal of Psychosomatic Research, dass Mindfulness-Trainings eben diese Faktoren (Stress & Ängste) reduzieren können. Durch eine Reduktion dieser Faktoren wird zumindest die dauerhafte Belastung der eigenen Resilienz gesenkt und diese so besser erhalten.

Interview: Orla Flock

Bild: Pixabay (CCO)