Generationswechsel: Warum sich viele Unternehmen damit so schwer tun – und wie die Übergabe funktionieren kann

p395289 NEUNsight Juni 2019

Woher rührt diese Problematik im Generationswechsel? Viele mittelständische Unternehmer und Großindustrielle sind „Alphamenschen“. Sie möchten sich weder unterordnen noch die Entscheidungsmacht in ihrem Unternehmen uneingeschränkt anderen überlassen – nicht einmal dann, wenn es sich „bei den anderen“ um den eigenen Nachwuchs handelt.

Vor ein paar Wochen erzählte mir jemand eine spannende Geschichte, die alles beinhaltete, was eine richtige Erfolgsstory braucht: Ein ehrgeiziger Mann gründet in der Nachkriegszeit ein Unternehmen für Kaffeehandel. Schnell stellt sich heraus, dass er der geborene Geschäftsmann ist. Ihm gelingt es, aus der Firma innerhalb von wenigen Jahrzehnten eines der größten deutschen Konsumgüter- und Einzelhandelsunternehmen zu machen.

Auch privat läuft es rund: Der Mann bekommt fünf Kinder, doch nun wandelt sich die Geschichte überraschend in eine Tragödie, denn nach dem Tod des Patriarchen zerstreitet sich sein Nachwuchs über das unternehmerische Erbe. Der Grund: Ihr Vater hatte keine klare Nachfolgeregelung hinterlassen. Zunächst übernimmt der älteste Sohn die Geschäfte, doch die jüngeren Geschwister wollen diese Alleinherrschaft nicht zulassen und stürzen ihn gemeinsam mit der Mutter vom Firmenthron.

Klingt spannend? Klingt nach einem Film-Plot? Knapp daneben, denn die besten Geschichten schreibt noch immer das Leben.

Entsprungen ist sie nämlich nicht der Feder eines Drehbuchautors, sondern der Realität. Es handelt sich um die Geschichte von Tchibo-Gründer Max Herz.

Alphamenschen können nicht loslassen

So dramatisch sie auch klingt, sie ist beileibe kein Einzelfall, Beispiele dafür gibt es zuhauf: Etwa die Hamburger Kaffee-Dynastie Darboven, wo der über 80 Jahre alte Firmenchef trotz seines fortgeschrittenen Alters nach einem Streit mit seinem Sohn immer noch an der Spitze steht. Oder das Industrieunternehmen Knorr-Bremse, in dem der Chef seinen Kindern zwar frühzeitig bereits mehr als die Hälfte der Anteile an seiner Firma übertragen hatte, sich jedoch nach wie vor die Stimmenmehrheit vorbehielt, was schließlich zur Überwerfung mit dem Nachwuchs und dem Ausscheiden des Sohnes aus der Geschäftsführung führte. Ich könnte die Liste ewig weiterführen, gerade im Mittelstand erlebe ich nahezu täglich, wie schwer sich Firmenchefs damit tun, ihre Nachfolge rechtzeitig und allumfassend zu regeln – und ihr Unternehmen damit im schlimmsten Fall in (wirtschaftliche) Schwierigkeiten stürzen.

Woher rührt diese Problematik? Viele mittelständische Unternehmer und Großindustrielle sind „Alphamenschen“. Sie möchten sich weder unterordnen noch die Entscheidungsmacht in ihrem Unternehmen uneingeschränkt anderen überlassen – nicht einmal dann, wenn es sich „bei den anderen“ um den eigenen Nachwuchs handelt.

Dieses Verhalten mag auf den ersten Blick egoistisch wirken, doch das wäre zu kurz gedacht. Oftmals steckt dahinter etwas ganz anderes: nämlich Angst. Angst vor einer zukünftigen Sinnlosigkeit des eigenen Seins, Angst vor einer fehlenden Herausforderung, Angst durch die fehlende Aufgabe in der Bedeutungslosigkeit zu versinken, Angst davor, dass die Nachfolger der Herausforderung nicht gewachsen sind und das eigene Lebenswerk zerstören könnten.

Emotionen dürfen den Blick nicht vernebeln

All diese Ängste sind durchaus verständlich, denn sie sind menschlich.

Doch klar ist auch, dass sie den Nachfolgeprozess aufs Empfindlichste stören, denn Emotionen vernebeln den Verstand, und den braucht es, um eine so wichtige Entscheidung zu treffen. Das Augenmerk muss auf greifbaren Kriterien liegen, wie den betriebswirtschaftlichen Kenntnissen der potentiellen Nachfolger oder deren Wille sich voll und ganz für die Belange der Firma einzusetzen.

Wie schwer diese rationale Herangehensweise offensichtlich den meisten Unternehmern fällt, zeigen die Zahlen: Laut Statistik nehmen etwa ein Drittel aller mittelständischen Unternehmer die Nachfolgeproblematik nicht zum Anlass, rechtzeitig aktiv zu werden. Die Folge: Der Nachfolger scheitert in der Hälfte der Fälle binnen vier Jahren. Nur etwa zwölf Prozent der Familienunternehmen schafft die Weitergabe des Unternehmens bis in die dritte Generation. Der Sprung in die fünfte Generation gelingt sogar nur einem Prozent. Was kann man tun, um diese sehr ernüchternden Zahlen zu verbessern?

Wann immer ich als Mediator und Coach anlässlich einer anstehenden Firmennachfolge gerufen werde, konzentriere ich mich zunächst auf die Person des Unternehmenschefs bzw. der Unternehmenschefin, denn sie sind der Dreh- und Angelpunkt, mit dem die erfolgreiche Übergabe steht und fällt. Ich rate zu folgendem Vorgehen:

Tipps für eine gelungene Übergabe:

  1. Planen Sie ausreichend Zeit ein: Machen Sie sich frühzeitig mit dem Gedanken vertraut, dass Sie Ihren Platz eines Tages räumen müssen – so schwer es Ihnen auch fällt. Einen soliden Übergang zu realisieren ist keine Frage von Monaten, sondern von Jahren. Ein Jahrzehnt Planung ist keine Seltenheit.
  2. Binden Sie Ihre Nachfolger in jeden Schritt des Prozesses ein – falls es mehrere sein sollten, achten Sie darauf, dass alle gleichermaßen involviert sind, so dass sich niemand zurückgesetzt fühlt.
  3. Seien Sie offen: Halten Sie Ihren Nachfolger/Ihre Nachfolgerin nicht hin: Sagen Sie ehrlich, wann Sie sich eine komplette Übergabe frühestens vorstellen können – und halten Sie sich an diese Zeitangabe, denn niemand findet sich gerne in einer undankbaren Warteposition wieder.
  4. Sorgen Sie in der Übergabezeit, in der Sie und Ihr Nachfolger beide an Bord sind, für klare Absprachen und legen genau fest, für welche Aufgaben und Bereiche Sie selbst und für welche die Nachfolger zuständig sind.
  5. Geben sie den Nachfolgern die Möglichkeit ihre eigenen Erfahrungen und Fehler zu machen und sperren Sie sich nicht gegen die Einführung neuer Ideen.
  6. Nehmen Sie bei betriebswirtschaftlichen, aber auch bei psychologischen Fragen Hilfestellung „von Außerhalb“ in Anspruch, beispielsweise in Form eines Mediators. Eine neutrale Person kann dafür sorgen, dass viele brodelnde Konflikte bereits vor Ausbruch beigelegt werden können.
  7. Üben Sie das Loslassen: Ein längerer Urlaub oder das Definieren eines Ziels und einer Aufgabe (das kann ein neues Hobby, ein Ehrenamt, oder – je nach Motivation – auch der Aufbau eines neuen Unternehmens sein) hilft, das Gefühl des Verlusts zu überwinden und sich langsam von gewohnten Routinen und Prozessen zu verabschieden.

 

Autor: Winfried Neun

Bild: Tiratore (fotolia.com)

Im Überblick

Laut Statistik nehmen etwa ein Drittel aller mittelständischen Unternehmer die Nachfolgeproblematik nicht zum Anlass, rechtzeitig aktiv zu werden. Die Folge: Der Nachfolger scheitert in der Hälfte der Fälle binnen vier Jahren. Nur etwa zwölf Prozent der Familienunternehmen schafft die Weitergabe des Unternehmens bis in die dritte Generation. Der Sprung in die fünfte Generation gelingt sogar nur einem Prozent.