Mit der Verleihung des Nobelpreispreises für Wirtschaftswissenschaften an Richard H. Thaler ist der Begriff der Verhaltensökonomie in aller Munde. In der NEUNsight erläutert der Nobelpreisträger die Grundzüge seiner Forschung. Lesen Sie mehr!
Der Alfred-Nobel-Gedächtnispreis für Wirtschaftswissenschaften ging 2017 an einen der führenden Verhaltensökonomen, Richard H. Thaler. Dieser zeichnet sich besonders durch seine Arbeiten zur Erklärung unvollkommener Märkte aus und ist ein großer Kritiker der umstrittenen These des rationalen Nutzenmaximierers. Stattdessen betont er sowohl emotionale als auch altruistische Komponenten bei der Entscheidungsfindung in wirtschaftlichen Situationen. In Nachfolgenden haben wir für Sie das Interview von Richard H. Thaler übersetzt.
„Unsere Forschung hat die Rentensysteme auf der ganzen Welt stark verändert“
Die NEUNsight bietet Ihnen das Interview mit Richard H. Thaler an, das direkt nach der Bekanntgabe des Nobelpreises in Wirtschaftswissenschaften von Adam Smith, Chief Scientific Officer von Nobel Media mit dem Ausgezeichneten geführt wurde. Im Interview beschreibt Richard H. Thaler einige der Auswirkungen seiner Arbeiten zur Verhaltensökonomie. Er erklärt auch das Konzept des „Nudge“, des sogenannten „Anstupsens“, einem zentralen Punkt seiner Forschungen.
Das Interview in deutscher Übersetzung:
Die Menschen kennen Sie vielleicht am besten für Ihr Buch „Nudge“, das vor fast einem Jahrzehnt veröffentlicht wurde. Für diejenigen, die es nicht wissen, können Sie beschreiben, was ein Nudge ist?
Richard H. Thaler:
Ein Nudge ist eine Eigenschaft oder Maßnahme, die das Verhalten von Menschen verändert, aber das Verhalten von rational agierenden Ökonomien, die wir Econs nennen, nicht ändern würden. Ein Beispiel dafür sind zwei Anstöße im schwedischen Rentensystem. Eines schuf einen Standard, den Menschen nehmen würden, wenn sie keine Wahl hätten. Der andere Nudge war eine Werbekampagne, die die Menschen ermutigte, den Standard nicht zu übernehmen. Das Konzept, das wir gerade schreiben, ist eine Art Kampf dieser beiden Nudges.
Was ist Ihr Lieblingsbeispiel für einen erfolgreichen Nudge?
Richard H. Thaler:
Am erfolgreichsten war die Einführung einer automatischen Einschreibung in Pensionspläne. Standard wurde der automatische Beitritt und nicht erst die eigene Entscheidung zum Beitritt. Dies wurde kürzlich bei der Einführung des nationalen Rentensparplans in Großbritannien eingesetzt und die Umsetzungsraten liegen bei weit über 90 Prozent.
Es ist mehr als 15 Jahre her, dass Ihr Freund Daniel Kahneman den Preis erhalten hat. Ich nehme an, dass Sie seither ein absolutes Aufblühen des Bereichs der Verhaltensökonomie gesehen haben. Hat die Verhaltensökonomie nun einen Punkt erreicht, an dem sie für die Politik von Nutzen sein kann?
Richard H. Thaler:
Ganz sicher. Ich denke, unsere Forschung hat die Rentensysteme auf der ganzen Welt stark verändert. Die Idee von „Save More Tomorrow“, wo sie Leute einladen, sich irgendwann in der Zukunft zu engagieren, war ziemlich erfolgreich. In den USA haben bis zu 25 Millionen Menschen an diesem Programm teilnehmen können. Länder auf der ganzen Welt, beginnend mit dem Vereinigten Königreich, haben Verhaltensintelligenz-Teams gegründet, die oft als Schubeinheiten bezeichnet werden. Und sie scheinen viel Gutes zu tun.
Nur noch eine letzte Sache. Wir alle denken gerne, dass wir anders sind, oder? Aber irgendwie bringt uns Ihre Arbeit zu einer vereinheitlichenden Theorie. Gibt es da eine Diskrepanz zwischen dem individuellen Glauben der Menschen an ihre eigene Individualität und Ihren Forschungen?
Richard H. Thaler: Menschen sind grundsätzlich unterschiedlich. Das wichtigste Ergebnis der Forschungen von Kahneman und Tversky ist nicht, dass wir alle gleich sind, sondern dass wir im Durchschnitt in die gleiche Richtung irren. Wir denken zum Beispiel alle, dass wir Projekte schneller abschließen als wir es tatsächlich tun – und dies obwohl klar ist, dass manche Menschen mehr zaudern als andere.
verwendete Quelle: Nobel Media 2017
Deutsche Übersetzung und Redaktion: Michael Storks
Bild: Richard Thaler / University Chicago