„Die Mediation kann transformatorische Wirkung entfalten“

p395289 NEUNsight April 2021

Im Interview mit der NEUNsight spricht die Rechtsanwältin und Mediatorin Anke Stein-Remmert über die Vorteile, Wirkung, Potenziale und Grenzen der Mediation.

NEUNsight:

Die Mediation ist eine Methode zur Bearbeitung und Lösung von Konflikten. Was genau ist unter Mediation zu verstehen?

Anke Stein-Remmert:

Die Mediation ist ein außergerichtliches Konfliktlösungsverfahren, das idealerweise eine sogenannte Win-Win-Lösung zum Ziel hat. Es geht vor allem darum, ergebnisoffen und zukunftsorientiert eine für alle Parteien zufriedenstellende und damit nachhaltige Lösung des zugrundeliegenden Konfliktes zu erreichen. Dadurch bietet sich das Verfahren insbesondere da an, wo auch über den Konflikt hinaus noch zusammengearbeitet wird oder aber die Parteien weiterhin in einer Beziehung zueinander stehen. Ein besonderes Merkmal des Mediationsverfahrens ist die Eigenverantwortung der Parteien. Das heißt, dass die Selbstwirksamkeit aller Beteiligten gestärkt und jeder in die Fähigkeit versetzt wird, das für ihn oder sie richtige und bedürfnisorientierte Ergebnis gemeinsam zu erreichen.

Inzwischen wurde die Mediation auch per Gesetz als „ein vertrauliches und strukturiertes Verfahren, bei dem Parteien mithilfe eines oder mehrerer Mediatoren freiwillig und eigenverantwortlich eine einvernehmliche Beilegung ihres Konflikts anstreben“ (§ 1 Abs 1 MediationsG) definiert. Das MediationsG sowie die Mediationsrichtinie EU stellen die gesetzlichen Grundlagen für dieses Verfahren dar. Die Mediation wird darin als autonome Konfliktbeilegung bezeichnet, d.h., die Parteien tragen die Verantwortung für das Ergebnis gleichermaßen und allein. Die Mediator:in als neutrale dritte Person unterstützt die Konfliktlösung strukturell, hat aber inhaltlich keine Beiträge oder Ideen beizutragen.

NEUNsight:

Gibt es außerdem Vorgaben, die die Mediator:in zu beachten hat?

Anke Stein-Remmert:

Die Mediator:in hat Grundprinzipien einzuhalten, die sich aus dem Mediationsgesetz ergeben:

  • die Freiwilligkeit aller Beteiligten
  • die Eigenverantwortlichkeit, d.h. die Autonomie der Konfliktparteien
  • Information: Alle Beteiligten müssen über einen gleichen Wissensstand in dem und über das Verfahren verfügen.
  • Neutralität, also die Allparteilichkeit und völlig wertfreie, neutrale Grundhaltung der Mediator:in gegenüber den beteiligten Personen, den Konflikten, Themen und Lösungen in der Mediation sowie Verfahrensneutralität.
  • Vertraulichkeit, also die Verschwiegenheitspflicht aller Beteiligten, welche im Mediationsgesetz niedergelegt und zumeist auch Teil der (schriftlich festgehaltenen) Mediationsvereinbarung ist.

NEUNsight:

Für welche Art von Konflikten ist eine Mediation besonders sinnvoll?

Anke Stein-Remmert:

Grundsätzlich eignet sich Mediation für alle Arten von Konflikten, da sie im Kern das gegenseitige Verständnis der Konfliktparteien wecken will, um gemeinsam zu einer Lösung zu gelangen, mit der sich alle Beteiligten identifizieren können. Es gibt viele verschiedene Anwendungsgebiete für die Mediation und auch spezialisierte Mediatoren:innen, z.B. in den Bereichen Migration, Trennung/Scheidung oder familiäre Kontexte generell, Wirtschaft, Baurecht, Unternehmensnachfolge, Täter-Opfer-Ausgleich (TOA), Nachbarschaft, Vereinsleben, Wirtschaftsstrafrecht, Gesundheit usw. Überall da, wo auch die Beziehungsebene betroffen ist, kann die Mediation transformatorische Wirkung entfalten. Die Parteien lernen dabei, ihre jeweiligen Bedürfnisse zu erkennen und auszudrücken sowie für sich selbst einzustehen.

Aber auch für innere Konflikte, die auf inneren Ambivalenzen basieren, kann Mediation hilfreich sein. So z.B. auch im Umgang mit Erkrankungen: Die Auseinandersetzung mit Krankheitssymptomen und ihrer Bedeutung kann die Selbstheilungskräfte stärken und Patient:innen die Zuversicht der Genesung vermitteln. Darüber hinaus bietet die Anwendung dieser Methode Erkrankten das Gefühl, selber aktiv für ihre Genesung einzutreten und damit das Gefühl der Abhängigkeit loszuwerden. Ich habe das selber im Rahmen meiner Krebsdiagnose ausprobiert und das Gefühl der eigenen Kraft im Umgang mit der Diagnose erleben dürfen. Das Mediationsverfahren hat mich aus dem lähmenden Gefühl der Machtlosigkeit geführt und so einen wesentlichen Baustein im Umgang mit der Erkrankung sowie den jeweiligen, durchaus massiven, Therapien dargestellt. Aus der Epigenetik wissen wir, dass diese Effekte wissenschaftlich nachweisbar sind.

Die Lösung innerer Konflikte ist schon häufiger betrachtet worden, die Mediation des inneren Teams (im Sinne des Modells von Schulz von Thun) wurde von meiner Kollegin Heike Adelmann und mir als mögliche intrapersonale Konfliktlösungsstrategie aber erstmalig betrachtet. Was wir feststellen konnten ist, dass eine Mediation des inneren Teams innere Konflikte genauso nachhaltig lösen kann wie interpersonale Konflikte und damit eine innere Ruhe und Stressreduktion erzeugt werden kann, die zur Gesundwerdung, Leistungssteigerung, Wohlbefinden und vielem anderen einen deutlichen Beitrag leisten kann.

Aus dieser Arbeit geht auch unser gemeinsames Modell IKM (Intrapersonelle Konflikte Mediieren) hervor. Das Ziel unserer Arbeit mit der intrapersonellen Mediation, dem IKM, ist in erster Linie, den Stress, den viele Menschen durch innere Konflikte jeglicher Art erleiden, zu reduzieren bzw. zu eliminieren und Menschen damit von diesem wirklich krank machenden Faktor weitestgehend zu befreien. Damit soll genau das erreicht werden, was ich oben schon angedeutet habe – Gesundheit, Wohlbefinden, Motivation, Leistung, Souveränität, Ruhe, Entscheidungsfreudigkeit und vor allem auch die Aktivierung von Selbstheilungskräften.

NEUNsight:

Welche Voraussetzungen müssen für eine erfolgreiche Mediation gegeben sein?

Anke Stein-Remmert:

Vor allem die Bereitschaft zur außergerichtlichen Lösung bei gleichzeitiger Ergebnisoffenheit. Nur wer wirklich und wahrhaftig freiwillig an diesem Verfahren teilnimmt und ein echtes Interesse an einer konsensualen Lösung hat, wird einen guten Erfolg erreichen. Dabei kommt es weniger auf die Frage an, ob jede Partei mit einer 100%-igen Erfüllung ihrer Wünsche aus der Mediation geht. Auch Kompromisslösungen können nachhaltige Wirkung entfalten, wenn sie mit entsprechender Haltung entwickelt wurden, die sich in selbstwirksamer und eigenverantwortlicher Auseinandersetzung (im positivsten Sinne des Wortes) zeigen.

NEUNsight:

Wie läuft eine Mediation üblicherweise ab?

Anke Stein-Remmert:

Die klassische, strukturelle Begleitung ist grundsätzlich vorgegeben und besteht aus 5 Phasen:

  1. Kontaktaufnahme mit der Mediator:in.
  2. Eröffnungsphase: Darstellung des formellen Rahmens des Verfahrens, Prinzipien, Struktur, Ablauf sowie Mediationsvereinbarung und Vertrauensaufbau.
  3. Themenfindung: Herausarbeiten der Themen, die einer Lösung zugeführt werden sollen: Worum genau geht es?
  4. Interessen: Darstellung und Erkennen von Interessen, Motiven, Absichten, Zielen, Wünschen, Bedürfnissen und Emotionen, die sich jeweils hinter den zuvor genannten Themen befinden.
  5. Problemlösung: Lösungsfindung, geprägt von gemeinsamer Kreativität, aber durchaus unter Beteiligung objektiver Kriterien, wie z.B. Statistiken, Normen, Gutachten.
  6. Abschlussvereinbarung: Gefundene Lösungen werden (schriftlich) festgehalten.

Möglich und durchaus hilfreich sind auch Abweichungen von dieser Struktur. Da man in der Mediation ja immer mit Menschen arbeitet, sind Flexibilität und Agilität im Kontextbezug gefragt. Es hat sich in einer Evaluierungsstudie herausgestellt, dass „zielgruppengerechte“ Abweichungen höchst effektiv sein können. Wichtig ist jedoch, dass die Interessenphase als „Herzstück“ der Mediation stattfindet.

Im Rahmen der Evaluation des Mediationsgesetzes wurden Wirksamkeit und Voraussetzungen für erfolgreiche Mediation untersucht. Hierbei wurde mittels Befragung (n = 818) u.a. das Thema „Wie läuft ein Mediationsverfahren in der Praxis tatsächlich ab?“ (Masser et al., 2017, S. 122) beleuchtet. Es wurde explizit gefragt, inwieweit das Mediationsverfahren „schulmäßig“ angewandt wurde, in wie vielen Fällen situationsbedingt davon abgewichen wurde und welche Auswirkungen dieser Aspekt auf das Gelingen der Mediation hatte. Im Ergebnis arbeiten 91% der Befragten Mediator:innen mit Abweichungen, 54% der Befragten gaben an, hin und wieder ausschließlich das formelle Verfahren anzuwenden (Masser et al., 2017, S. 123). Wie in Abbildung 1 dargestellt, ergab sich u.a. ein Zusammenhang zwischen den Fragen „erfolgreiche Beendigung des Konfliktes“ und „situationsbezogenen Abweichungen“. Zu den Abweichungen zählen z.B. die Co-Mediation, das Hinzuziehen externer Experten, Schlichtung, Vermittlung und Evaluation.

Abbildung 1: Zusammenhang zwischen Häufigkeit der Konfliktlösung unter Anwendung des formellen Verfahrens oder situationsbezogener Abweichungen
Quelle: Bericht der Bundesregierung über die Auswirkungen des Mediationsgesetzes auf die Entwicklung der Mediation in Deutschland und über die Situation der Aus- und Fortbildung der Mediatoren, 2017, S. 124.

Wie in der Grafik erkennbar, wurde im Rahmen der Studie festgestellt, dass lediglich 18% der Mediator:innen zu einer Konfliktlösung gelangten, wenn sie rein das formelle Verfahren angewendet haben, bei Anwendung situationsbezogener Abweichungen wurden 84% Erfolge erzielt (Masser et al., 2017, S. 124).

NEUNsight:

In Unternehmen kommt es gerade in Transformationsprozessen immer wieder zu Konflikten. Wann sollten Führungskräfte zur Lösung von Konflikten lieber auf die professionelle Hilfe eine:r Mediator:in setzen?

Anke Stein-Remmert:

Leider werden Mediator:innen, wenn überhaupt, zumeist erst ins Boot geholt, wenn das „Kind schon in den Brunnen“ gefallen ist. Dabei wäre die frühzeitige Einbindung einer neutralen Mediator:in nicht nur hilfreich, sondern am Ende des Tages auch enorm kostensparend. Bereits vor dem Start des Transformationsprozesses oder Projektes können gegenseitige Wünsche und Erwartungen offen gelegt und geklärt werden. In jedem Prozess – und auch in den allermeisten Projekten – gibt es irgendwann zumindest Irritationen bis hin zu Spannungen, die auf dieser Basis frühzeitig erkannt und bearbeitet werden können, bevor das Projekt zum Pausieren oder Erliegen kommt und Kosten entwickelt, die zumeist nicht eingeplant waren und darüber hinaus zu weiteren Frustrationen führen. Ein weiterer Vorteil ist der erreichte Tiefgang in der jeweiligen Zusammenarbeit, der sich letztlich auf die Nachhaltigkeit der erreichten Ergebnisse auswirkt.

NEUNsight:

Ist die Gestaltung eines reibungslosen Ablaufs von Transformationsprozessen nicht Aufgabe der Führungskräfte?

Anke Stein-Remmert:

Natürlich haben Führungskräfte mit entsprechender Haltung große Einwirkmöglichkeiten auf den Prozess und kennen ihre Mitarbeiter:innen idealerweise gut, so dass sie diese sehr gut einschätzen können. Nichtsdestotrotz handelt es sich bei Führungskräften um Vorgesetzte. Viele Mitarbeiter:innen scheuen sich zu äußern, was sie tatsächlich umtreibt und ihre Bedürfnisse offen auf den Tisch zu legen. Auch die Freiwilligkeit der Teilnahme an einem durch Vorgesetzte geführten Mediationsverfahren ist zweifelhaft. Zumeist zeigt sich in der Praxis, dass die Mitarbeiter:innen schlichtweg aus strategischen Gründen teilnehmen und dabei sehr an der Oberfläche bleiben.

NEUNsight:

Unterscheidet sich der Mediationsprozess, wenn es um unternehmensinterne Konflikte statt um Konflikte zwischen Privatpersonen geht?

Anke Stein-Remmert:

In der Planung von Mediationen im internen Unternehmensumfeld treffen Mediator:innen auf eine erhöhte Komplexität. Es gilt das System des Unternehmens im Auge zu behalten und die jeweiligen Wirkmechanismen zu erkennen und einzuschätzen. Regelmäßig wirken auch umliegende Bereiche (z.B. Schnittstellen) auf die Inhalte und Ergebnisse einer Mediation ein. Auch Fragen der Geschäftspolitik müssen im Auge behalten werden. Ebenso Vereinbarungen des Betriebsrates und Regelungen aus dem Arbeitsrecht. Das Verfahren selber bleibt in seiner Struktur allerdings weitgehend identisch.

NEUNsight:

Gibt es auch Konflikte, bei denen Sie selbst von einer Mediation abraten würden? Kommt die Methode Mediation auch mal an ihre Grenzen?

Anke Stein-Remmert:

Selbstverständlich ist vor jeder Mediation zu prüfen, ob das Verfahren im angedachten Kontext überhaupt durchgeführt werden sollte. Hier liegt immer eine Einzelfallentscheidung zugrunde.

Keinen Sinn macht eine Mediation, wenn eine der Parteien gar keine Konfliktlösung will, sondern Bereitschaft nur aus strategischen Gründen vortäuscht, oder wenn die Teilnahme nicht als freiwillig oder zumindest bereitwillig einzuschätzen ist. In anderen Fällen liegen vielleicht schon so große Verletzungen vor, dass eine Einigung gar nicht mehr gewollt ist. Grundsätzlich glaube ich aber, dass es sich so gut wie immer lohnt, eine Mediation zu beginnen. Ein Abbruch ist jederzeit möglich und viele lernen sich selbst und/oder ihr Gegenüber zum ersten Mal mit Sorgen, Ängsten und Bedürfnissen wirklich kennen. Die meisten Menschen sind im Grunde froh, den Konflikt lösen zu können, wenn ihnen (auch vielleicht erst im laufenden Verfahren) erstmal bewusst wird, dass es in der Mediation im Gegensatz zu bspw. Gerichtsverfahren keine Verlierer gibt, man sich in der Folge weiterhin respektvoll begegnen und/oder Geschäftsbeziehungen aufrechterhalten kann.

Bei massiver körperlicher und psychischer Gewalt sowie nicht ausgleichbaren Machtungleichgewichten ist natürlich ebenfalls von einer Mediation abzuraten.

NEUNsight:

Wie finden Unternehmen, oder auch Privatpersonen, eine:n geeignete:n Mediator:in?

Anke Stein-Remmert:

Wenn z.B. ein Verfahren droht, kann man bei Rechtsanwälten oder Gerichten nachfragen. Mittlerweile gibt es Listen von Mediator:innen, die in den jeweiligen Konfliktarten spezialisiert sind. Solche Listen sind für jede Art von Konflikt auch im Internet zu finden, allerdings ist hier – wie in jedem anderen Lebensbereich auch – auf die Seriosität der Seiten zu achten. Mediationsverbände können ebenfalls Auskunft geben, so z.B. die DGM (Deutsche Gesellschaft für Mediation e.V.). Darüber hinaus gilt natürlich auch in der Mediationslandschaft das Prinzip der Weiterempfehlung ebenso wie in anderen Bereichen, in denen es insbesondere um die Person der Dienstleister:in geht. Die Parteien und die jeweilige Mediator:in müssen zu einander passen: Die Chemie muss einfach stimmen!


Anke Stein-Remmert

(Copyright: Andreas Beckmann, Fotokult Beckum)

Seit dem Jahr 2009 ist Anke Stein-Remmert als Rechtsanwältin, Wirtschaftsmediatorin, Business-Coach, Trainerin und Speakerin in der Beratung von Unternehmen und im Trainingsbereich tätig. Ihr Einsatzgebiet erstreckt sich in erster Linie auf die branchenübergreifende ziel- und lösungsorientierte Unterstützung von Unternehmen bei der Bewältigung von Krisen und Konflikten sowie der Erarbeitung einer effizienten und gesunden (auch bereichsübergreifenden) Teamkultur. Darüber hinaus führt sie regelmäßig Workshops zu den Themen Kommunikation, Verhandlung und Konfliktmanagement durch und hält als „Krisenmanagerin mit Leidenschaft“ Vorträge.

 Sie ist seit September 2010 zusätzlich als Dozentin und Prüferin für Mediation an der FernUniversität in Hagen tätig.


Interview: Orla Flock

Cover-Bild: Pixabay (CCO)