Ein Gespräch mit dem Ökonomen und Wirtschaftspsychologen Winfried Neun über Herausforderungen und Voraussetzungen für eine nachhaltige Geschäftsmodell-Resilienz.
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NEUNsight:
Was bedeutet Geschäftsmodell-Resilienz und warum wird sie immer wichtiger?
Winfried Neun:
Bislang konzentrieren sich Unternehmen im Angesicht von Kristen vor allem auf ein professionelles Risikomanagement oder darauf, eine vernünftige Geschäftsplanung zu realisieren. Beide Ansätze betrachten zum einen die Absicherung des Systems gegenüber Unfällen und Fehlern, sodass Störungen keine so starke Auswirkung auf die Organisation haben und zum anderen soll durch eine aktive Planung und Steuerung der langfristige Erfolg des Unternehmens sichergestellt werden.
Bei der Geschäftsmodell-Resilienz geht es hingegen darum, dass durch einen systemischen Ansatz, also einen ganzheitlichen Blick auf die Unternehmung, alle Arten von Herausforderungen durch Aufbau einer eigenen Widerstandskraft bewältigbar werden. Dabei geht es insbesondere auch um die Regenerationsfähigkeit einer Organisation und dem damit verbundenen Lerneffekt für zukünftige Herausforderungen.
NEUNsight:
Welche Herausforderungen können Unternehmen bei der Entwicklung einer resilienten Geschäftsstruktur typischerweise erwarten?
Winfried Neun:
Die wesentlichen Herausforderungen sind dabei vor allem, dass eine Resilienz der Geschäftsstruktur einer hohen Resilienz der Führungskräfte bedarf. Hier gilt es für die notwendige Qualifikation, Haltung und Einstellung bei den agierenden Führungskräften zu sorgen, um diese auch an die Mitarbeitenden weitertragen zu können.
Außerdem verlangt der systemische Ansatz eine ganzheitliche Betrachtung der Unternehmung. Hierfür ist es wichtig, das Unternehmen als Organismus zu verstehen, der auf verschiedene Einflüsse von innen und außen unterschiedlich reagiert. Der wohl wichtigste und schwierigsten Part beim Aufbau einer hohen Geschäftsmodell-Resilienz besteht darin, die richtigen Kategorien und damit Einflussfaktoren für die Geschäftsmodell–Resilienz zu ermitteln. Nur wenn diese Kategorien eindeutig festgelegt sind, kann dann an deren Aufbau und Stärkung gearbeitet werden.
NEUNsight:
Welche Schlüsselfaktoren oder Merkmale machen ein Geschäftsmodell denn besonders resilient gegenüber externen Schocks oder Veränderungen?
Winfried Neun:
Die Schlüsselfaktoren sind sehr individuell und von Branche zu Branche unterschiedlich. Branchenübergreifend haben sich jedoch einige Merkmale herauskristallisiert, die über ein Exzellenz-Modell beschreibbar und damit auch beeinflussbar sind: Eine Kombination aus Human-Exzellenz, Transformations-Exzellenz und Innovations-Exzellenz.
NEUNsight:
Wie kann ein Unternehmen die Widerstandsfähigkeit des eigenen Geschäftsmodells (oder eines angedachten Geschäftsmodells) bewerten oder messen?
Winfried Neun:
Die Erfassung der Schlüsselfaktoren für ein Resilienz des Geschäftsmodell bedarf einer unternehmensspezifischen Vorgehensweise. Dabei sind wissenschaftliche Ergebnisse sowie Benchmarks und psychologische Aspekte zu nutzen. Die Erfassung erfolgt im Rahmen von Expertengesprächen, Online-Surveys und Meta-Analysen. Hierbei werden insbesondere im Sinne einer Salutogenese das Zusammenspiel verschiedenster Faktoren bewertet bzw. gemessen.
NEUNsight:
Sind bestimmte Branchen oder Unternehmenstypen besonders herausgefordert, resiliente Geschäftsmodele zu entwickeln?
Winfried Neun:
Auf Basis aktueller Studienergebnisse zeichnet sich nicht ab, dass eine Branche besonders gefordert wäre. In Zeiten von Multikrisen gilt es für alle Branchen gleichermaßen – und auch für alle Unternehmenstypen – ihr Geschäftsmodell bezüglich ihrer Resilienz zu überprüfen.
NEUNsight:
Gibt es Beispiele für Unternehmen, die ihre Geschäftsmodelle angepasst haben und welche strategischen Entscheidungen zu ihrem nachhaltigen Erfolg dann beigetragen haben?
Winfried Neun:
Ein gutes Beispiel ist hierfür ein Unternehmen aus dem Gesundheitswesen (Name kann leider nicht genannt werden). Dieses Unternehmen hat erkannt, dass ihr Geschäftsmodell als Produktlieferant im Krankenhaus langfristig nicht mehr resilient sein wird. Dazu wurden dann mehrfache Analysen bezogen auf die schon oben genannten Schlüsselfaktoren sowie individuelle Schlüsselfaktoren des Unternehmens durchgeführt. Das Unternehmen hat sein Geschäftsmodell dahingehend angepasst, dass spezifische nutzenorientierte und krisenbeständige Dienstleistungen für neue Zielgruppen und die bestehende Zielgruppe erbracht werden. Die Nachfrage nach diesen Dienstleistungen war gigantisch und stabilisierte die wirtschaftliche Lage des Unternehmens.
NEUNsight:
In dem Zuge auch die Frage: Wie können Unternehmen gleichzeitig proaktiv auf potenzielle Störfaktoren/Krisen vorbereitet sein und aber flexibel genug bleiben, um auf unvorhergesehene Herausforderungen/Ereignisse zu reagieren?
Winfried Neun:
Der zentrale Anspruch an resiliente Geschäftsmodelle ist, dass diese neben Nachhaltigkeit Unbeständigkeit eben auch eine selbst generierende Anpassungsfähigkeit ermöglichen. Dabei ist es wichtig, dass diese Anpassungsfähigkeit nicht mit extremem Zeit- und Kostenaufwand erfolgt, sondern durch die Organisation selbst als Tagesgeschäft verstanden wird. Hierbei hat sich gezeigt, dass viele Unternehmen sich selbst etwas vormachen, wenn sie der Ansicht sind, dass dies in ihrer Organisation bereits etabliert wäre. Bei genauer Betrachtung zeigt sich häufig, dass bei der Mehrzahl dieser Unternehmen die Agilität und Anpassungsfähigkeit zwar eine Wunschvorstellung der Entscheidenden ist, aber die Gesamtorganisation dies nicht umsetzt. Bei solchen Unternehmen führt dieser Anspruch an Agilität dann sogar eher zu einer Belastung der Resilienz des Geschäftsmodells, weil die falschen Kategorien zur Resilienz-Steigerung herangezogen wurden, die ins Leere führen.
NEUNsight:
Welche Rolle spielt die Unternehmenskultur & die Führung bei der Schaffung eines resilienten Geschäftsmodells? Welche Faktoren und Eigenschaften sind dabei entscheidend?
Winfried Neun:
Wie schon erwähnt spielt die Resilienz der Führungskräfte eine ganz zentrale Rolle bei dem Aufbau eines resilienten Geschäftsmodells. Dies basiert insbesondere auf der Erkenntnis, dass die Resilienz einer Organisation immer von der Entscheidungsfähigkeit und Entscheidungsbereitschaft der Führungskräfte abhängig. Dies wiederum setzt jedoch eine hohe Selbstwirksamkeit und ein hohes proaktives Coping bei den Führungskräften voraus. In den letzten Jahren zeigt sich hier eine besondere Eruierung: Entscheidungen werden unnötig in die Länge gezogen und/oder werden nur halbherzig getroffen und meist erfolgt die Entscheidungsfindung durch ein „angstgetriebenes“ Verhalten. Diese Entwicklung gilt es unbedingt wieder umzukehren, wenn man resiliente Geschäftsmodelle – aber auch resiliente Mitarbeitende – etablieren will.