Professionelle Verhandlungsführung in Krisenzeiten

p395289 NEUNsight Juni 2022

Im Gespräch mit dem NEUNsight Magazin spricht Winfried Neun über die Besonderheiten und Herausforderungen der Verhandlungsführung in Krisenzeiten.

NEUNsight:

Krisenzeiten – wie wir sie gerade erleben – stellen viele Unternehmen vor Herausforderungen. Vor allem Verhandlungsführer:innen sind nun besonders unter Druck. Wieso sind Verhandlungen in Krisenzeiten so schwierig?

Winfried Neun:

Gerade in Krisenzeiten ist es entscheidend, dass durch die Unkalkulierbarkeit der Situationen keiner der vorhandenen Parteien seine Schwächen bzw. Ängste preisgibt. Diesen Druck müssen die vorhandenen Parteien durch eine gestärkte Resilienz kompensieren. Daher ist gerade in Krisenzeiten ist eine resilienzorientierte Verhandlungstechnik besonders wichtig. Hierbei ist entscheidend, dass beide Parteien sich ihrer eigenen Stärken und Schwächen bewusst sind, aber auch jede Partei für sich weiß, wie sie ihre Resilienz stärken kann. Gerade die Selbstwirksamkeit, also die Überzeugung, dass ich mit meinen Fähigkeiten diese schwierige Verhandlung meistern kann, wird in Krisenzeiten besonders stark beansprucht. Der Aufbau von Gelassenheit und Souveränität bei sich selbst stärkt die Selbstwirksamkeit.

NEUNsight:

Krisenzeiten sind vor allem auch Zeiten der Angst und der Unsicherheit. Wie wirken sich diese Emotionen auf Verhandlungen aus?

Winfried Neun:

In der Tat verstärken sich Emotionen in Krisenzeiten. Bei Verhandlungen bedeutet dies, dass sich die einzelnen Parteien durch Emotionen sehr stark beeinflussen lassen. In Zeiten ohne Krise ist dies weniger der Fall, da dort die teilnehmenden Parteien weniger Ängste und vor allem Verunsicherung spüren. Diese Emotionen sorgen dafür, dass Aspekte eher negativ bewertet werden und Lösungsansätze nur schwer zu finden sind. Die Ausweitung des „Verhandlungskuchen“ wird schwieriger. Die Emotionen trüben unseren Blick und lassen Situationen eher negativ erscheinen, obwohl sie real immer noch positiv zu bewältigen wären. Dieses Abgleiten in negative Affekte erschwert die Steigerung der Selbstbestimmung und Selbstberuhigung. Damit werden Verhandlungen anstrengender, perspektivenloser und vor allem weniger erfolgreich sein. Wem es gelingt diese Emotionen durch eine gezielte Affektregulation zu beeinflussen, wird bei den Verhandlungen in Krisenzeiten immer die Nase vorne haben.

NEUNsight:

Wie kann es einem gelingen, trotzdem ruhig zu bleiben und das Gegenüber durch Unruhe und Angst nicht zu verunsichern?

Winfried Neun:

Die Selbstberuhigung ist für die erfolgreiche Umsetzung von Verhandlungen Erfolgsparameter. Um sich nicht von der Unruhe und der Angst des Gegenübers verunsichern zu lassen, sollten professionelle Verhandler die Methodik des Perspektivwechsels und der Intervention erlernen. Beides sind Methoden, die in der Mediation ihre Anwendung finden und für viele erfolgreiche Konfliktlösungen verantwortlich sind. Die Methode der resilienzorientierten Mediation beinhaltet diese Methoden und zeigt darüber hinaus, inwieweit man bei Verhandlungen in Krisenzeiten eine professionelle Affektregulation bei sich selbst und bei anderen durchführen kann.

NEUNsight:

Gibt es Verhandlungsmethoden, die in schwierigen Zeiten erfolgsversprechender sind als andere oder bewährte?

Winfried Neun:

Gerade die resilienzorientierte Verhandlungsführung unter Berücksichtigung des Harvard-Konzeptes ist als erfolgreiche Verhandlungsmethode in Krisenzeiten zu erwähnen. Durch die Kombination von Methoden einer professionellen Mediation mit Erkenntnissen aus der Persönlichkeitspsychologie ist bei der resilienzorientierten Verhandlung die Stärkung des Verhandelnden möglich. Gerade die Berücksichtigung der Resilienzkategorien stärkt die Verhandlungsposition und ermöglicht eine spontanere und zielsichere Reaktion auf Vorwände bzw. Einwände des Gegenübers. Insbesondere in Krisenzeiten ist es wichtig, dass die Persönlichkeitsaspekte und Erkenntnisse aus der Sozialpsychologie in die Verhandlungstaktik ihren Einzug finden. Denn gerade diese beiden Aspekte verhindern eine zu starke Verunsicherung und fehlende Interaktion der teilnehmenden Parteien. Das Ergebnis wird spürbar besser und für die trainierte teilnehmende Partei auch einfacher.

NEUNsight:

Gibt es drei praktische Tipps, die Sie Verhandlungsführer:innen mit auf den Weg geben können?

Winfried Neun:

Ja diese Tipps gibt es in der Tat:

  1. Achtsamkeitsübungen unterstützen den Aufbau der Selbstbestimmtheit und Selbstwirksamkeit und sollten daher von jedem professionellen Verhandlungsführer beherzigt werden.
  2. Jeder Verhandlungsführer sollte sich im Vorfeld der Verhandlungen Gedanken darüber machen, inwieweit er den „Verhandlungskuchen“ vergrößern kann. Darunter ist zu verstehen, dass ich mein Verhandlungsergebnis nicht nur an meiner eigenen Position festsetzte, sondern insbesondere auch an den Bedürfnissen meines Gegenübers. Damit weitet sich mein Blick für mögliche Handlungsalternativen, die für beide Seiten eine WIN-WIN-Situation darstellen. Die entscheidende Frage hierzu lautet: Welche Bedürfnisse und Interessen verfolgt mein Gegenüber und welche gemeinsamen Interessen haben wir?
  3. Der Aufbau von Gelassenheit durch gezielte Affektregulation stärkt die Verhandlungsposition eines jeden Verhandlungsführer. Hierzu ist es wichtig, stets den Überblick zu behalten und durch gezielte Interventionen immer wieder die tatsächlichen Bedürfnisse der vorhandenen Parteien zu betonen.

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Winfried Neun ist Gründer und Geschäftsführer der K.O.M. GmbH. Der Verhaltensökonom und Wirtschaftspsychologe agiert seit 30 Jahren als Coach und Berater für die professionelle Gestaltung von Veränderungsprozessen, insbesondere in den Bereichen Unternehmensführung, Strategie und Personal/Organisation.

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Interview: Orla Flock

Coverbild: Pixabay (CCO)