„Das Zauberwort heißt Authentizität“

p395289 NEUNsight Februar 2022

Im Gespräch mit der NEUNsight spricht die Rechtsanwältin und Mediatorin Anke Stein-Remmert über Frauen in Führungspositionen. 

Anke Stein-Remmert (Copyright: Andreas Beckmann, Fotokult Beckum)

NEUNsight:

Frau Stein-Remmert, trotz jahrelanger Diskussionen rund um Frauenquoten und Diversität in Aufsichtsräten und Führungsriegen, gibt es immer noch wenige Frauen in Führungspositionen. Was sind Ihrer Meinung nach die Hauptgründe dafür?

Anke Stein-Remmert:

Die Antwort auf diese Frage ist sehr vielschichtig.

Das vermeintliche Spannungsverhältnis zwischen Männern und Frauen hat eine jahrhundertlange Historie, die immer noch weiterlebt. Schließlich brauchen wir nur in die jüngere Vergangenheit zu schauen, um die mehr als deutliche Herabstufung der Frauen im Arbeitsleben zu sehen. Noch im Jahr 1970 konnten Frauen keinen Arbeitsvertrag rechtswirksam unterzeichnen. Dieses Recht blieb den Ehemännern vorbehalten. Diese Zeiten so aktiver und offensichtlicher Geringschätzung von Frauen sind glücklicherweise vorbei. Die gesellschaftspolitischen Auswirkungen in Form von spezifischer, konservativer und altmodischer Grundhaltung sowie Vorurteilen, die es Frauen schwer machen, in Führungspositionen zu gelangen, sind jedoch noch spürbar. Ein Umdenken hat in weiten Teilen der Arbeitslandschaft immer noch nicht stattgefunden.

In der Praxis beobachte ich oft, dass Stereotype aufeinandertreffen, die bei näherer Betrachtung sehr gut miteinander zu vereinbaren wären und sogar die Kompetenzen der Führungsriege insgesamt wunderbar erweiterten würden. Allerdings finde ich – insbesondere bei der Begleitung von Konfliktsituationen – häufig das Gegenteil vor. Kämpfe um Positionen, ein Nichtgönnen von Erfolg, fortwährender Vergleich und große Skepsis. Insbesondere „weibliche“ Attribute werden vordergründig oftmals belächelt. Es würde sicher helfen, wenn Frauen selbstbewusster und auf natürliche Weise zielorientierter auftreten würden. Leider sind sie häufig zu sehr von Selbstkritik geprägt.

NEUNsight:

Es ist ja auch ein gesellschaftliches Problem ist, dass Frauen häufiger zurückhaltend und von Selbstkritik geprägt sind als Männer. Man liest schließlich oft genug vom sogenannten „Confidence Gap“. Demnach bewerben sich Frauen auf Stellen nur, wenn sie 100% der Anforderungen erfüllen, Männer hingegen, wenn sie nur 60% der ausgeschriebenen Anforderungen erfüllen. Nun bringt es vermutlich wenig, Frauen einfach zu sagen: Seid selbstbewusster! Diese Unsicherheit ist anerzogen und die Bekämpfung der Unsicherheit müsste demnach viel früher ansetzen, oder?

Anke Stein-Remmert:

Ja, absolut. Der Aufbau von Selbstsicherheit muss bereits im Kindesalter beginnen. Trotzdem können Frauen daran mitwirken, ihre Akzeptanz zu erhöhen. Deshalb macht es durchaus Sinn, am selbstbewussten Auftreten zu feilen. Es geht aber nicht darum zu versuchen, sich männliche Attribute wie Härte, Durchsetzungsvermögen, Dominanz und Selbstbewusstsein auf die Fahne zu schreiben,  um erfolgreich zu sein, sondern auf Basis der individuellen weiblichen Attribute wie Empathie, Sensibilität, Fürsorge und Gerechtigkeitssinn zu führen. Gerade in diesen Schubladen wird leider immer noch gedacht und häufig begehen Frauen den Fehler, sich zu verstellen, um die Führungsposition zu ergattern. Diese Unnatürlichkeit wird auffliegen und am Ende des Tages eine Bestätigung für die „Gegner“ von Frauen in Führungspositionen sein.

Egal ob Mann oder Frau: Das Zauberwort heißt Authentizität. Gepaart mich fachlicher Qualität. Weg von geschlechterspezifischer Beurteilung.

NEUNsight:

Wie kann es gelingen, Führungskräfte für das Thema zu sensibilisieren?

Anke Stein-Remmert:

Um Führungskräfte für dieses Thema zu sensibilisieren wäre es sicher hilfreich, zu einem natürlicheren Umgang mit diesem Thema zu kommen.

Ein wichtiger Schritt ist die Beendigung der Gleichheitsdiskussion. Am Ende des Tages geht es um individuelle Stärken und die Qualität der jeweiligen Kompetenzen einer Führungskraft und nicht um das Geschlecht als Solches. Gleichzeitig war die gesetzliche Regelung der sogenannten „Quotenfrau“ notwendig, um überhaupt Türen für Frauen in Führungspositionen zu öffnen und den Frauen die Möglichkeit zu geben, genau diese Stärken unter praktischen Beweis zu stellen. Damit hilft eine gesetzliche Regelung möglicherweise für den ersten Moment, den Einstieg. Für die praktische Umsetzung wiederum kann es jedoch schwierig sein, dass mit einer gesetzlichen Regelung eine Verpflichtung einhergeht, die der Freiwilligkeit entbehrt. Das empfinde ich als wenig hilfreich.

Gelingende und gut funktionierende gemischte Führungsteams als Muster des Gelingens sind der deutlich überzeugendere Weg.

NEUNsight: 

Nicht nur die Zusammensetzung von Teams und Führungsteams wird sich weiter verändern, sondern auch Arbeitsweisen grundsätzlich. Was halten Sie von der Idee, Führungspositionen in Teilzeit auszuführen und eine Führungsposition so zu teilen?

Anke Stein-Remmert:

Ich finde den Ansatz großartig! Von Führungskräften als Grundvoraussetzung per se zu erwarten, dass sie ganztägig zur Verfügung stehen, ist aus meiner Sicht längst nicht mehr zeitgemäß. Gerade die Vereinbarkeit von Familie und Beruf fordert insbesondere von Frauen häufig Teilzeittätigkeit. Dadurch kommen sie oftmals aus diesem faktischen Grund für eine Führungsaufgabe nicht in Betracht. Die Ausführung einer Teilzeittätigkeit als Führungskraft würde noch mehr fachlich qualifizierten Frauen die Möglichkeit geben, eine Führungskarriere einzugehen. Das gilt ebenso für Männer, die sich glücklicherweise zunehmen den gleichen Herausforderungen stellen und die Vereinbarkeit von Beruf und Familie in der Priorität vornan stellen. Eine Teilzeitführungsposition würde auch für sie ungewohnte Freiräume bedeuten.

Übrigens kann die Idee von Führungspositionen in Teilzeit die Akzeptanz von Frauen in Führungspositionen auf natürliche Weise erhöhen. Wichtig für die praktische Umsetzung ist jedoch in jedem Tandem ein hohes Maß an Abstimmung, Kommunikation und gegenseitigem Vertrauen. Dass dieses Konzept hervorragend funktionieren kann, zeigen uns die Skandinavier.

NEUNsight:

Wie kann es gelingen, dass Männer und Frauen sich nicht als Feinde sehen, sondern als Team, das als Ganzes von mehr Frauen in Führungspositionen profitieren würde?

Anke Stein-Remmert:

Wir müssen das Bewusstsein schaffen, dass es um die jeweiligen Stärken und Kompetenzen geht und damit grundsätzlich einen Gewinn für alle bedeutet. Das Erleben von guter Zusammenarbeit und gemeinsamem Erfolg wird die Augen öffnen und auch Frauen selbstverständlich in Führungsetagen ankommen lassen. Um ein Miteinander in die jeweiligen Köpfe zu bekommen und den Weg für eine geschlechterübergreifende Zusammenarbeit auf Führungspositionen zu generieren, sollte genau eine solche gefördert werden.

Stellen Sie sich vor, Sie würden aufgrund einer gesetzlichen Grundlage als Frau in eine Führungsposition kommen. Häufig führt dies zu Unwohlsein und starkem inneren Druck, besonders gut „abliefern“ zu müssen. Dieser Druck ist von außen spürbar und trägt sicher nicht zu einer höheren Akzeptanz bei. Umgekehrt sollte sich die Diskussion aber auch nicht nur um die Akzeptanz von Frauen in Führungspositionen drehen, sondern auch auf die Recht von Männern erstrecken, selbstverständlich Elternzeit nehmen zu können oder in Teilzeit Familie und Beruf vereinbaren zu wollen. Auch das ist in vielen Branchen noch von einem Geschmäckle begleitet und kann zum Einbruch der Karriere führen. Wenn wir über die Rechte und Möglichkeiten von Frauen sprechen, müssen wir dies auch bei den Männern tun. Und letztendlich profitieren dann auch wirklich alle.

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Seit dem Jahr 2009 ist Anke Stein-Remmert als Rechtsanwältin, Wirtschaftsmediatorin, Business-Coach, Trainerin und Speakerin in der Beratung von Unternehmen und im Trainingsbereich tätig. Ihr Einsatzgebiet erstreckt sich in erster Linie auf die branchenübergreifende ziel- und lösungsorientierte Unterstützung von Unternehmen bei der Bewältigung von Krisen und Konflikten sowie der Erarbeitung einer effizienten und gesunden (auch bereichsübergreifenden) Teamkultur. Darüber hinaus führt sie regelmäßig Workshops zu den Themen Kommunikation, Verhandlung und Konfliktmanagement durch und hält als „Krisenmanagerin mit Leidenschaft“ Vorträge.

Sie ist seit September 2010 zusätzlich als Dozentin und Prüferin für Mediation an der FernUniversität in Hagen tätig.

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Interview: Orla Flock

Coverbild: Pixabay (CCO)